Marl ist Marl Die Skulptur „NON VILOENCE“ des schwedischen Künstlers Carl Fredrik Reuterswärd gibt es 16 Mal auf der Welt – zum Beispiel in New York und in Marl. Foto: Inga Pöting Wer zum ersten Mal für einen Stadtbummel nach Marl kommt, der gerät ins Staunen. Denn eine klassische Innenstadt, geschweige denn eine Altstadt, gibt es hier nicht. Was es gibt, ist ein Einkaufszentrum, das sämtliche Geschäfte des Ortskerns in sich aufgenommen hat wie ein Wal einen Fischschwarm. Dahinter ein Rathaus von außergewöhnlicher Architektur, ein Museum, ein Theater. Dazwischen nicht viel, außer: jede Menge Kunst im öffentlichen Raum. 12 Marl ist eine Stadt, die sich nicht anbiedert. Doch schaut man genau hin, kommt Spannendes zum Vorschein. Zum Beispiel ein Eintrag im Guinnes-Buch, faszinierende Architektur und jede Menge Kunst im öffentlichen Raum. Der Marl-Neuling, der die Stadt entdecken will, ist also zu radikalem Umdenken gezwungen. Straßencafés: Fehlanzeige. Dafür sitzen im Einkaufszentrum Marler Stern, das den Rathausplatz vom Bahnhof Marl-Mitte trennt, schon vormittags Menschen jeden Alters und trinken Kaffee. Es herrscht eine gemütliche Geschäftigkeit, hier wacht die Stadt auf. Ein Superlativ, wo man ihn bei diesem mittelgroßen Konsumtempel nicht vermutet: Das Luftkissendach des „Maler Sterns“ steht im Guinness-Buch der Rekorde, es ist das größte der Welt. Die Tageszeitung „Die Welt“ nannte Marl unlängst „die Plattenbaustadt auf der grünen Wiese“. Ende der fünfziger Jahre galt sie als Prototyp des modernen Städtebaus, die Planung folgte einer sozialen Idee, sollte funktional und offen sein. Marls Stadtzentrum hat deshalb nichts Organisches, sondern ist durch und durch angelegt. Und genau hier liegt seine Faszination. Das denkmalgeschützte Rathaus hinter dem Einkaufszentrum erinnert architektonisch an den Brutalismus der Ruhr-Universität Bochum – heute für viele eine „Betonsünde“, aber beeindruckend in seiner Erhabenheit. Die Fassade kämpft vor dem blauem Himmel um ihr Weiß, Literatur zum Bau verrät: Bei aller Zweckmäßigkeit ist das Rathaus äußerst raffiniert angelegt. Die würfelförmige Uhr auf Stelzen davor hat beinahe ostdeutschen Charme. Ob man es zugeben mag oder nicht: Dieses Ensemble hat was. Das Skulpturenmuseum ist überall Vor dem Rathaus glitziert der City-See, dessen Name wiederum so künstlich ist wie er selbst. Doch auch hier: Das menschengemachte Ding ist ein Sympath. Auf der Wasseroberfläche spiegelt sich das warme Gelb des nahen Parkhotels, Gänse, Enten, sogar ein Reiher tummeln sich am Ufer. Rund herum hat das Skulpurenmuseum Spuren gelegt. Eine übermannsgroße Figur, die am Ufer des Sees die angedeutete Faust in den Himmel reckt: Nike, die Göttin des Sieges. Nicht weit entfernt ein Bronzeguss, ein Portrait des von den Nazis ermordeten Pfarrers Dietrich Bonhoeffer. Und gleich vor dem Rathaus: ein überdimensionaler Revolver mit verknotetem Lauf. Die Arbeit des Schweden Carl Fredrik Reuterswärd heißt „NON VIOLENCE“ und ist an 16 Orten auf der Welt zu finden. Seinen weitesten Schatten wirft das Skulpturenmuseum auf die andere Seite des Sees, zum Theater: Hier liegt das berühmte Kunstwerk „La Tortuga“ (dt. „Die Schildkröte“)von Wolf Vostell – ein rostroter, auf dem Rücken liegender Zug. Dass man das Skulpturenmuseum „Der Glaskasten“ genannt hat, wo es doch wie das benachbarte Rathaus vor allem aus Beton besteht – das ist so unbeschwert selbstironisch, dass man grinsen muss. Das ist der Charme von Marl: Die 85 000-Einwohner-Stadt, die überregional höchstens für ihr Grimme-Institut bekannt ist, biedert sich nicht an. Ihre Einzigartigkeit offenbart sie nur, wenn man sie so nimmt, wie sie ist. Doch dann steckt sie voller Überraschungen. Inga Pöting
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