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September 2019 - coolibri Düsseldorf, Wuppertal

BLICKPUNKT Das bisschen

BLICKPUNKT Das bisschen Klima... Es ist dasJahr 2019, im Sommererreichen die Temperaturenüber40Grad, wirbefinden unsimZeitalterdes Klimanotstandes. Über 40 deutsche Städte, etlichedavon in NRW, sind denAufrufender Demonstrantenvon Fridaysfor Future gefolgt und habenden Klimanotstand ausgerufen.Doch wasgenau bedeutet dieser Notstandfür einenOrt und seineBewohner? Undwie setzen dieStädte der Region ihn um? Foto: chuttersnap onUnsplash 6 Als ersteStadt in NRWrief dieniederrheinische Gemeinde Tönisvorstam16. Maiden Klimanotstandaus.Eingereicht wurdeder Antrag dafür vonden Bürgernder Stadtselbst–derRat stimmtederen Resolutionzu. Dieseerklärtden Kampfgegenden Klimawandelzur „Aufgabe vonhöchsterPriorität“ unddassdie bisherigen Maßnahmen nichtausreichen„um dieErwärmung bis2050auf dieangestrebten1,5°C zu begrenzen“. DieseFormulierungenfindensich in jederResolutionbzw.jedem Ratsbeschluss, dieden Klimanotstandausruft –mal mehr,mal wenigerexplizit. Grundlagefür dieseBeschlüsse isteineResolutionder Konstanzer Fridaysfor-Future-Bewegung, nach dersichder Ratder StadtamBodenseerichtete, alseram2.Mai als erster denKlimanotstandfür eine deutsche Stadtausrief.Dem Beispiel folgtenauch in NRW etliche Städte, etwa Bochum,Leverkusen, Düsseldorf, Köln,Bonn, Aachen, Herne undGelsenkirchen. Diewichtigsten Forderungenaus derwegweisendenKonstanzer Resolution: Eine Anerkennung der Dringlichkeitder Klimakrise, dasEingeständnis,dassdie bisherigen Maßnahmennicht ausreichenund einZugeständnis, zukünftigbei allenpolitischen Entscheidungendie Auswirkungenauf das Klimazuberücksichtigen undLösungen mitpositivem Effekt aufden Klimaschutz zu bevorzugen.Zudem soll dieStadtverwaltung,die Öffentlichkeit regelmäßigzudem Themainformieren. Proteste für Klimaschutz: Fridaysfor Future Düsseldorf mitgroßemZiel Klimanotstandist aber keine bindende Maßnahme mitrechtlichen Konsequenzen beiNichteinhaltung, dazu haben dieStadträtereinrechtlich auch garnicht dieMöglichkeit–esist eine freiwillige Selbstverpflichtung.Wie dieseausgelegt wird,wie streng dieZiele ausfallen undwie akkuratsie verfolgt werden,obliegt jederStadt selbst.Düsseldorfetwaformulierte nebstKlimanotstand eine überraschend konkreteZielsetzung: Bis2035will dieStadt klimaneutral werden.Nur noch zwei statt6,6 Tonnen CO2- Emission sollen proKopfpro Jahr aus derLandeshauptstadt kommen.Dazusollenallerelevanten Beschlussvorlagen mitentsprechenden Informationenausgestattetwerden. Schon am 21.11. soll einKonzept zur Emissionsreduzierung vorgelegtwerden. Auch dieMetropole Köln gabihrerKlimanotstandsausrufungetwas Handfestes mit: Relevante Ausschuss- und Ratsentscheidungenwerdenauch hier miteiner Klimafolgenabschätzungversehen, dieexplizit dieAuswirkungenauf denKlimaschutz benennt. Wasdie Ausschuss- oder Ratsmitglieder mitdieserInformationanstellen,ist nichtdefiniert. ÄhnlicheVorschlägewurdeninanderen Städtenoft abgelehnt. Teufel im Detail So wirdbeimBlick aufweitere Ratsbeschlüsse zumKlimanotstandaus derRegiondeutlich:JederBeschluss istindividuell –und dabei steckt derTeufeloft im Detail.Die Stadt Hernezum Beispiel formuliertetwas anders als Tönisvorst: DiebisherigenMaßnahmen werden nichtals unzureichend ausgewiesen,stattdessen will man„bisherige erfolgreiche städtische Klimapolitik“ weiterentwickeln.Die HernerStadtverwaltung will kommunizieren, dass in derStadt bereitsvielamKlimaschutz gearbeitetwirdund mandiesenWeg auch weitergehenwill.Schwammigwirdesim Bekenntnis dazu,zukünftig beiallen politischenEntscheidungenden Klimaschutz Foto: Fridays for Future Deutschland

BLICKPUNKT vorneanzustellen.LautHernerBeschluss ist „dieEindämmungdes Klimawandels (…)bei allen Entscheidungengrundsätzlich zu beachten“. Keine Verneinung,aberverpflichtenwill mansichzunichts. So fehltauch derZusatz, Alternativen mitpositivem Effekt aufden Klimaschutz zu bevorzugen.Ein Knackpunkt in etlichen derKlimanotstandserklärungen: Bindende Zusagen, politische Prozesse konkretzuverändern,werdenerstmal nichtgemacht.InBochum will mandie klimafreundlichen Alternativen „wennimmer möglich“ berücksichtigen,inGladbeck soll „der Klimaschutzaspektals einwesentlicher undgesonderter Punktbehandelt werden“, in Gelsenkirchenwirderstmal nur„auf klimafreundliche Alternativen prioritärgeprüft“. Ergo:Man will dasThema verstärkt berücksichtigen, im Zweifelsollesaberauch nichtimWeg stehen. In Gelsenkirchenführtedas zu einemEklat. Laut denGelsenkirchener Grünen istder Antrag vonSPD undCDU am 11.7.„im letzten Moment“ eingereichtwordenund zwar alsdeutlich abgeschwächte Versiondes ursprünglichenAntrags. GrößterKritikpunkt:Der Klimaschutz werde nichtexplizitvorrangig behandelt undklimafreundlicheAlternativenseien nichtbindend zu bevorzugen.Fraktionsvorsitzender PeterTertochanannte denAntragineinem Redebeitrag „windelweich“und eine „Mogelpackung“. Ein wirksames Signal Selbst wenn diepolitischen Konsequenzen einerKlimanotstanderklärungschwach ausfallen,ist fürdie Demonstrantenvon Fridays for Future einanderer Punkt ausschlaggebend:Die Ausrufungist einbreitenwirksamesSignal, dasdem Thema Klimaschutz,das sonstgerne vertagtwird, mehr Gehör undGewicht verleiht.„Über dieEntwicklung sind wirnatürlicherfreut“, sagt SamuelNellessen vonFridays forFuture aus Düsseldorf. „Jedoch sind damitkeineswegsunsere Zieleerreicht–wir haben noch einenzuerfüllendenForderungskatalog!“ Dassdie Politik dieKlimakriseanerkennt undihre Dringlichkeit zugibt,ist fürdie Demonstrantenein erster Schritt –ihreProtestesinddeshalb noch lange nichtbeendet, dieArbeitlängstnicht getan. DerForderung,die Öffentlichkeit in regelmäßigenAbständenüberdie Fortschritte undauch dieSchwierigkeiten im Kampfgegendie Klimakrisezuinformieren,kommenderweil so gut wiealleStädteinihren Beschlüssennach. Wie undinwelchem Turnus bleibt noch offen,auf dieerstenBerichtedarfman aber gespannt Forderungender FFF-Bewegung sein,dadiese transparentmachenwerden, was derKlimanotstandwirklich verändert hat–aber auch,anwelchen gewinnbringendenProjekten vieleStädteschon seit langer Zeit hart arbeiten. Dassdiese jahrelangenBemühungennun bagatellisiertwerdenkönnten,veranlasst einige Stadträteinder Region zurAblehnung desKlimanotstandes. Etwa in Witten,wosichFDP VorsitzenderFrank-Steffen Fröhlich gegenüberder FunkeMediengruppewie folgtäußerte:„Mich störtes, wiedie Klima-Debattesprachlich geführt wird–unddasswir so tun, alshäten wir in Deutschland20Jahre überhauptnichtsfür denKlimaschutz getan.“Der BegriffKlimanotstandsei Hysterie undPopulismus.EineAnsicht, dieauch dieEssener FDPteilt, dieinEuropasGrünerHauptstadt 2017 gemeinsammit SPDund CDUdie Klimanotstandsausrufungverhinderte. Undauch in Dortmund lehntman den Notstands-Begriff ab.Uwe Waßmann vonder CDUerklärte daslautRuhrNachrichteninder Ratssitzungzum Themaso: „Wir wollen handeln,statt dramatischeWorthülsenzuplatzieren.“FFF-AktivistSamuelNellessen hältdagegen: „Städtedie meinen,dassdie Lage,inder wir unsbefinden, kein Notstand undder Begriff ‚irreführend‘ ist, sollten maldie Nachrichteneinschalten.Wer nichtsieht,dassjeder vonuns ein kleinesZahnrad in derLösungder KLimakrise ist, verschließtmutwilligdie Augenvor dergrößtenKrisenunserer Zeit.“ Ein erster Schritt Obwohl derKlimanotstand nichterklärtwurde,einigtensichdie Ratsfraktionen aufdiverse Punkte,die den Klimaschutz vorantreiben sollen.Wie in Dortmund wirddank derWelle an Klimanotstandbekundungen in jederStadt aktuell über dasThema diskutiert.Obim Stadtrat,beimFrisör oder am Küchentisch.Der ersteSchritt derFridaysfor-Future-Bewegungist also so oder so nicht unerfolgreich. Ihre Botschaftist angekommen: DieKlimakriseist real,die bisherigen Anstrengungen reichenbei weitem nichtaus,jetzt ist dieZeitzuhandeln.OhneEinschnittewerden dienötigen Zielenicht erreicht werden –viele Menschen sind schon bereit dafür,vor allem ein großer Teil derjungenGenerationzeigtdieses Bewusstsein. Nunist es Zeit für Politikund Wirtschaft nachzuziehenund Signalen (wie dem Ausrufen desKlimanotstandes) auch Handlungenfolgenzulassen. Mitanderen Worten: Es ist einStein insRollengeraten,der nunviele weitere Tritte braucht... LukasVering Foto: Fridays for Future Deutschland 7

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