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Oktober 2018 - coolibri Bochum

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INTERVIEW „ D a s L e

INTERVIEW „ D a s L e b e n i s t k e i n P o n y h o f “ Im Oktober erscheintConchitas zweiteCD, „FromViennawith Love“–eineHommage an die Divendes Showgeschäfts. Doch TomNeuwirths AlterEgo istmehr als nur eine schillerndeKunstfigur.Gäbe es eine Conchita-Religion,Interviewerin Nadine Benekewürde eintreten. DertiefenentspannteSänger hatnichtnur eine Menge erlebt, er hatauch Lösungen für einbesseresMiteinander parat.Ein Gespräch über die Entstehung vonConchita, dieVorzüge derIgnoranz und unbegrenzteMöglichkeiten. In beinahejedem Interview, das ichmit dirgelesen habe, fragendichdie Interviewer, ob siemit TomoderConchitasprechen.Wie empfindest du dieseFrage?Und welche Rollespieltdas eigentlich fürdich? Ichfinde dieFrage berechtigt.Weilich auch merke, dass sich beimir da einigesgetan hat. Ichmerke,dassich es unnatürlichfindenwürde,würde manmichmit ‚sie‘ansprechen. Im Zuge dessen habeich aber auch gemerkt,dassmir meineGenderIdentitytatsächlich wichtigerist,als ich dachte.Ich war früher sehr streng damit, Menschenzusagen: ‚Ich bineine Sängerin undmöchtemit weiblichen Attributen in Verbindung gebracht werden‘. Weil ichernst genommen werden wollte.Ich denke, es istsehr leicht,einen Drag Actnicht ernstzunehmenoderals Witz abzustempeln. Und daswollteich aufkeinenFall. Mittlerweile istesokay, wenn manConchitasagt. Ichverstehees, aber es fühlt sich nichtmehrsoan. Somitbin ichauch gefangen in diesem Konstrukt desSchubladendenkens. Du hast mal scherzhaftgesagt, Conchitasei entstanden,weildukeine Lust hattest, dich zu rasieren.Ist das wahr? Das stimmt.Ich seh’ aus wiezwölf,wennich rasiertbin.Und dasgefällt mir nicht. Daswar damals eher einGag.Ich hab einen Visagisten gesehenaus Amerika, Matthu Anderson, derhat immer Drag gemacht mitBart. Ichbin damals über dieseFotos gestolpert undfand, dassah toll aus.Irgendwann standeineParty an undich stand im Badund dachte mir,ich gehimFummel weg. Und habeeseinfachausprobiert. AusreinerFaulheitheraus. Wiereagieren die Leuteauf dich unddeine Erscheinung? AufmeinemInstagram-Accountist kaum etwasNegatives zu finden.Ich habenatürlichvereinzeltimmer wiederetwas drin,das mich im schlechtesten Fall zum Kopfschütteln bringt,abermichnicht wirklich emotional berührt. Meistenskostetesmichauch einLächeln,weilich es lustig finde, wenn Menschen so bemühtdarum sind,einem zu sagen, wiesehrsie einennicht mögen. Dasist so unlogisch. Wiesosollteich mich denn mitetwasbeschäftigen,das ichnicht mag? Ichfinde,einegesunde PortionIgnoranz schadetnicht.Wennmichwas nichtinteressiert,dann interessiert es mich nicht. Vielleichtmanchmalauch unhöflich,aberdas hältjeder aus. „Dieeinzigen, dieuns aufhaltenkönnen, sind immerwir selbst.“ derMenschenrechte isteinfach einzuhalten. Da,woich jemand anderen in seiner Freiheit einschränke, istmeine Freiheit zu Ende.Und ichglaube, mitsolchenbanalen Dingen wiedem Aussehen kann mansichweitaus demFenster lehnen,bis manjemandemkörperlich wehtut. VieleLeute stören sich ja aktuell an so einigem... Natürlich. Aber auch dasversteheich nicht. Dieser Hass,der da gelebt wird.Esist mir emotionalnicht zu begreifen.Ich habedafür keineReferenz in meinerErziehung oder in meinerLebensgeschichte. Ich habe kein Werkzeug,auf dasich zurückgreifen könnte, dass ichdiesesVerhalten im Ansatz verstehenkönnte. Da sind Menschen,die hetzen gegenHautfarbenund sexuelle Orientierungen undich denkemir,Leute,eigentlich istes euchdochscheißegal. Washat dasfür euch füreinen Mehrwert, ob ihr andere raushetztoderHassversprüht?Seid doch alleignorant undkonzentrierteuchauf euereigenes Leben. Viele nehmen sich zu wichtig. Ichdenk mir:Sit down,Daddy, nobody askedyou. Natürlich nimmt dashierin DeutschlandDimensionen an,die fernabvon demsind, wasmit Humorzu beantworten ist, aber es istmir nichtzuverstehen.Natürlichist es wichtig, dagegenaufzustehen undetwas zu sagen. Ichfür mich tu mich schwer damit, gegenetwas zu sein.Ich sagmir eher:Gehtzur Wahl.Wir lebenineiner Demokratie.That’show it is.Natürlichkann mansagen, mankann nichtwarten, bisdie Demokratie es richtet, aber wir lebenineiner Demokratie.Sollenwir jetztdie Anarchie ausrufen? Istdas derPlan? Dasist das, worauf ichplädiere. Denn zuhausezusitzenund zu denken,die Menschenkönnendoch nichtsodumm sein unddann nichtwählen zu gehen, istfahrlässig. Als du denESC gewonnen hast,hastdugesagt„We areunstoppable“und benutztden Hashtag#theunstoppables. Wieist derStand derDinge? Ja,ich lebe das. Ichfinde,die einzigen,die unsaufhaltenkönnen,sindimmerwir selbst.Vieles, wasuns zurückhält, hältuns in unseremKopfzurück. DieStimme, dieeinem sagt,man istnicht gut genug. Somitist es eine täglicheHerausforderung,die Stimmebeiseitezuschiebenund zu sagen: Done is better than perfect. Dasist einCredo,das ichmir immer wiedermantrahaftvorbete. Denn wenn manvor Angstnichtstut,dann kommt auch nichts raus. Angstist einfachdestruktiv. Im 18.und 19.Jahrhundertwaren in denUSA dieFreak Showsverbreitet, unteranderem mitder Figurder bärtigen Lady.Wie freakydarfman denn heutzutage sein? Pffft! Jederwie er will.Dagibtesdochkeine Regeln.Aussehen, solche Oberflächlichkeiten,dakann doch jedermachen, wieerwill.Mit Oberflächlichkeiten kann manniemandem wehtun.Ich denkedas Grundkonstrukt 6 Wassinddeine Strategien, um keineAngst zu haben? Nach demSongcontest habeich dieerstenJahre damitverbracht,diesen Charakter (Conchita, Anm. d. Red.)zuschleifen undzuformen. Und so einenminimalen Bruchteil meiner Persönlichkeitauf dieBühnezustellen, um eben ernstgenommenzuwerden. Im Laufeder Zeit binich darauf gekommen,dasswennich mich selbst so filtereund limitiere, dann tutmir

INTERVIEW coolibripräsentiert Conchita aliasTom Neuwirth Foto: André Karsai dasnicht gut.Weilich immer noch eine Seitevon mir versteckeund nicht akzeptiere. Ichhabeirgendwann gemerkt,ich wacheauf undbin grundlos unglücklich. Da binich einfachnicht mehr rausgekommen.Ich habemir professionelle Hilfegeholt, vieleBüchergelesen undmit meinen Freunden undmeinerFamiliegesprochen. Das warenzweiJahre anstrengende Arbeit.Herauszufinden, werich binund wasich möchte. Wasich kann und wasnicht.All dieseDinge,die mansodurchlebt.Und binzudem Punkt gekommen,dassich reichenmuss. Ichhabeangefangen, zu meditieren.Ich dachte nie, dass dasirgendetwas fürmichseinwird. Mich hatdas immer so gestresst. Denk nichtaneinen rosa Elefanten. Das istsobescheuert. Dann habe ichgeführteMeditationfür mich entdeckt.Wenndie netteDame in meinem Kopfhörermir einfachnur sagt,wie langeich einzuatmen habe, wielange ichdie Luft anzuhalten undauszuatmenhabe–daskann ich. Anweisungenbefolgenkann ichsuper.Ich liebees. Es hatwirklichetwasverändert.Ich binvielgelösterinvielerlei Hinsicht undreg mich nicht mehr über jedenScheißauf.Wennjemandetwas sagt,nehme ichdas für bare Münze. Ichhabeaufgehört, mir für andere denKopfzuzerbrechen. Undessollenauch alleanderen aufhören,sichfür mich denKopfzuzerbrechen. Hast du manchmal dasGefühl,dichmehranstrengen zu müssenals andere? Ichfür mich,ja. Es gibt Business-Situationen, in denenman merkt,dass meinePersonreinmarketingtechnischnicht gut zu verkaufen istfür eine breite Masse. Das istnun maldie Geschäftswelt. Früher habeich immer gedacht:Mussich jetztnochmehrmachen, um daszukriegen, wasandere kriegen? Und dann kommt derNeid insSpiel.DiesesGefühlhabeich mir untersagt. Ichhasse es zu jammern. Undich hasseMenschen, die jammern. Hass istein starkes Wort,aberdasteigtmir dieWeißglutauf.Ich wardavor auch nichtgefeit. Aber ichhabezum GlückMenschenummich, diemichdaraufaufmerksam machen. First-World-Problems.Jeder bekommt das, waserbekommen soll.Wir entscheidenjaalletatsächlich selbst,wie unserLeben aussieht. Ichkomme auseinem 3000-Seelen- Dorf,meine Eltern warennicht reich. Ichhatte keinen privilegierten Status undhabedie Schule gemachtwie alle anderenauch.Abermeine Persönlichkeit hatmichzum Lichtgetrieben.I’m sorry, vormir brauchtman keine Ausreden suchen.Esist scheiß hart,aberman kann alles.Das Leben istkeinPonyhof. Waswünschstdudir fürdie Zukunft? Dassdie Menschen aufwachen. Dassjeder dieChancebekommt,seinLebensozugestalten,wie er oder siedas möchte. Dann gibtesauch keinen Hass undkeinenNeid.Das istnatürlich eine Miss-Universe-Antwort,aber es gibtschon Lösungen dafür.Ohnejetzt hier zu politischzuwerden: Ich finde,ein Grundeinkommenfür jedenMenschenauf diesem Planeten würde wahnsinnigvielbeitragen.Wenndie Grundbedürfnisseder Menschheit gestilltsind, zu essen,zutrinken undein Zuhausezuhaben,dann wären vieleProblemegelöst. Wenn alleMenschendas machen, wassie gerne tun, wäre dasziemlich geil hier.Esgibtjaimmer dasArgument, dass gewisseJobsniemandmachenwürde.Aberich wage dieBehauptung, dass es füralleJobsMenschengibt, dieesinteressiert. Ichlebeauch meinen Traumund auch in meinem UniversumgibtesDinge,die mache ichgern undweniger gern.Weniger gern isttotal gut mitzunehmen,wennder Rest einfachtollist.Und ichglaub, daswäre einKonzept, dasfunktionieren könnte. Ob dasjemals in dieTat umgesetztwirdbei denMenschen, die denPlanetenkontrollieren –Idon’t know. Conchita+Band:11.11., Turbinenhalle, Oberhausen 12.+13.11.,E-Werk, Köln 7

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