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März 2017 - coolibri Bochum

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T H E M A Bisleyland

T H E M A Bisleyland Seine Metamorphose vom Gewalttäter zum Jugendsozialarbeiter hat Sascha Bisley in seinem Buch „Zurück aus der Hölle“ beschrieben. Diese schonungslose Autobiografie hat ihn weit über die Dortmunder Nordstadt bekannt gemacht. Für seine Fernseh-Dokumentation „Szene Deutschland“ ist er für den Grimme-Preis nominiert. Was das für ihn bedeutet und wie sein zweites Buch entstanden ist, hat er im Gespräch mit Dominique Schroller erzählt. Was war Ihr erster Gedanke, als Sie von dem Grimme-Preis erfahren haben? Oh Gott. Natürlich war ich mehr als überrascht und habe erst gedacht, das sei ein Scherz. Ein Kollege aus der Spiegel-Redaktion hat angerufen und mich gefragt, ob ich sitze. Wir haben untereinander immer aus Spaß gesagt, dass wir entweder in der Gosse landen oder den Grimme-Preis gewinnen. Doch das hat im Ernst ja keiner geglaubt. Es ist eine unglaubliche Ehre und ich weiß, dass die Nominierung schon wirklich viel bedeutet. Für die Reihe „Szene Deutschland“ sind sie in die Welt der Junkies und Hooligans abgetaucht. Warum? Mich interessieren Grenzbereiche – vielleicht, weil ich mich selbst lange in diesem Bereich bewegt habe. Mir war es bei dem Projekt besonders wichtig, einen anderen Blick auf die Szene zu vermitteln und zu zeigen, dass das nicht alles Freaks sind, die sich den ganzen Tag nur berauschen. Vielmehr gehören Schicksale dazu, so einen Lebensweg einzuschlagen. Auch unter Hooligans finden sich durchaus gebildete Menschen, die ein Ventil suchen. Es ist untypisch, ohne journalistische Ausbildung an solche Themen heranzugehen, doch möglicherweise macht es gerade das so authentisch. Sie wirken dabei wie ein Vermittler zwischen den Welten. Wie sehen Sie sich selbst? Das ist eine gute Umschreibung. Denn ich habe selbst eine Drogen- und Gewaltvergangenheit. Ich war selbst Täter und versuche nun, als Brücke zum Zuschauer zu fungieren. Denn ich möchte nichts präsentieren, vielmehr möchte ich mit den Leuten reden und nicht über sie. Für mich war es eine große Chance, etwas tun zu dürfen, das einen Wert hat. In meinem früheren Leben habe ich selten etwas gemacht, das gut war und sich auch gut angefühlt hat. Was unterscheidet Sie heute vom Sascha Bisley damals? Zunächst glaube ich, dass der Sascha von damals ein ganz anderes Lebensmodell hatte – schon aufgrund seines Alters. Mit 44 Jahren habe ich heute ganz andere Möglichkeiten, Konflikte zu lösen, als mit 13. Damals habe ich mich viel an anderen orientiert und mich verbogen. Für einen Zwölfjährigen war das okay, heute kommt das nicht infrage. Während der Zeit im Gefängnis habe ich angefangen, mir selbst ein Bild von der Welt zu machen. Nach meinen vielen Fehltritten bin ich daher dankbar für das, was ich heute machen darf. Durch die Möglichkeiten, die andere mir gegeben haben, bin ich ein besserer Mensch geworden. Das kann ich wirklich so sagen. Was hat Sie dazu bewegt, ein zweites Buch zu schreiben? Eigentlich ist das mein erstes Buch. Es war schon so gut wie fertig, als das Angebot des Verlages kam, meine Lebensgeschichte aufzuschreiben. Da habe ich nicht lange überlegt. Eigentlich wollte ich aber etwas Witziges machen. Angefangen hat alles 2011 mit einem Reiseblog. Die Leute sollten wissen, was ich in New York so mache. Darauf bekam ich viel Resonanz und als ich zurück war, hatte ein Freund mir schon eine Internetseite angelegt. Er sagte, ich könne das irgendwann als Klo-Lektüre veröffentlichen. Und da der Trubel um mein erstes Buch etwas abgeebbt ist, habe ich die Chance genutzt und es rausgehauen. Was bedeutet Bisleyland für Sie? Das ist ein Sammelsurium von Erlebnissen, die lustig und ein bisschen verrückt sind. Im Prinzip ist es die aufgehübschte Form des Tagebuchs. Eigentlich hatte ich nie vor, meine Lebensgeschichte an die Öffentlichkeit zu bringen, weil das immer noch etwas ist, für das ich mich schäme. Tatsächlich hatte es für mich aber eine therapeutische Wirkung und nun bin ich weniger angreifbar, weil ich mich nackt gemacht habe. Sascha Bisley: Bisleyland. Abendteuer im Abeits, Correct!v, 20 Euro Das vollständige Interview gibt es auf coolibri.de. „Mich interessieren Grenzbereiche“ Für welche Erfahrung sind Sie dankbar? Huh, das ist schwierig. Ich glaube, für die zweite Chance. Das klingt abgedroschen, aber wenn es wirklich darauf ankommt, sie auch einzufordern, dann passiert oft nicht viel. 16 Sascha Bisley Foto: Chokografie

C O O L I B R I L O K A L Gebaute Geschichte Dicht drängen sich die Fachwerkhäuser in der Hattinger Altstadt zusammen. Die windschiefen Fassaden und kleinen Fenster erzählen jeweils eine Geschichte. Mit 318 Denkmälern lädt die Stadt zu einer Zeitreise ein. Hattingen hat sich seine Historie erhalten. Dem Abrisswahn der 60er und70er Jahr hat der damalige Denkmalpfleger Einhalt geboten. „Er warnte davor, die eigene Vergangenheit dem Erdboden gleich zu machen“, sagt Jürgen Uphues. Er ist heute für den Erhalt des Erhaltenen verantwortlich. „Das hier ist wie ein gebautes Archiv. Wir brauchen diesen Blick auf die Geschichte wie jeder Mensch seine Erinnerungen. Sonst geht ganz viel Wissen verloren“, betont der 57-Jährige. Die steinernen und hölzernen Zeugen ihrer Zeit geben ihm Aufschluss darüber, wie die Menschen einst gelebt haben. Kuhhirte von Hattingen In der Kuhgasse erinnern die Kellertüren mit direktem Zugang zur Straße noch an das Zusammenleben von Mensch und Tier. „Hattingen hatte einen Kuhhirten, der das Vieh bei den Leuten abholte und vor der Stadt auf die Weide brachte.“ Die doppelten Fensteröffnungen mit den grünen Schlagläden am Haus nebenan zeigen, dass manche Baustoffe lange kaum erschwinglich waren. „Die verglaste Öffnung lässt Licht durch, die andere diente zum Lüften, so ließen sich Fensterscheiben sparen.“ Der scheinbar windschiefe Kirchturm hat ebenfalls seine Geschichte. Er sollte, sofern der Blitz ihn traf und entflammte, möglichst auf die umgebenden Bürgerhäuser fallen. „Die ließen sich schneller wieder aufbauen als das Kirchenschiff und noch wichtiger war, dass er nicht auf den Friedhof stürzte und womöglich die Totenruhe störte.“ Gott möge Bewohner und Bau vor Fieber und Brand bewahren, steht über dem Türsturz eines Das alte Rathaus im Herzen der Altstadt. stattlichen Fachwerkhauses. Darüber sind verspielte Schnitzereien angebracht. Am Anbau blicken dagegen grimmige Schandmasken von den Knaggen herunter. „Zwischen beiden Bauteilen lag eine Pestwelle, die die Bevölkerung erheblich dezimiert hat“, berichtet Jürgen Uphues. Das Nachbarhaus zeugt vom Zuwachs während der industriellen Revolution. Einst war die untere Etage anderthalbstöckig als große Halle ausgebaut. „Denn Mann liebte seine Frau. Die hätte sonst beim Anheizen des Herdes bis zum Hals im Rauch gestanden.“ Nach Gründung der Henrichshütte zogen die Hausbesitzer kurzerhand eine Zwischendecke ein, um Kostgängern Logis zu geben. „Eine solche Unterkunft galt damals erst ab acht Personen als überbelegt, geschlafen wurde in Schichten“, berichtet Jürgen Uphues. Die erste Sparkasse steht noch immer schräg gegenüber. Sie eröffnete 1838 am Haldenplatz 6 und hatte zunächst große Schwierigkeiten, das Vertrauen der Menschen zu gewinnen. „Der Sparstrumpf war damals der Klassiker. Die Bank gab zwar Zinsen, doch das Geld ließ sich nicht täglich nachzählen.“ Als Unbekannte dem Rendanten in der Nacht vom 30. September 1843 insgesamt 57 Taler entwendeten, war das Vertrauen in die Sparkasse vorerst verspielt. Kurios ist der Hattinger Häuserzoo. Dort haben sich neben den einheimischen Fachwerkhäusern translozierte Artgenossen, ein Neubau und ein Würfelwerk aus den 70er Jahren angesiedelt. „Das ist das Denkmal der Zukunft“, sagt Jürgen Uphues mit Blick auf den verschachtelten Flachdachbau aus Waschbeton und Schiefer. „Das ist aus Fertigbauteilen zusammengesetzt und galt als der Inbegriff des modernen Wohnens.“ Schönheit und Alter sind keine Kriterien für den Denkmalschutz. „Entscheidend ist, dass das Objekt aus einer abgeschlossenen Epoche stammt und die einstigen Bau- und Lebensweisen dokumentiert.“ Gebaute Geschichte eben. Dominique Schroller 17 Foto:Dominique Schroller

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