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Juli 2016 - coolibri Düsseldorf

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M U S I K V O N H I E R

M U S I K V O N H I E R Kiesgroup Tierisches Theater Ihre Kritiker hatten es schon immer schwer, sie in eine Schublade einzuordnen. Mit dem aktuellen Album „Eulen und Meerkatzen“ setzt die Düsseldorfer Band Kiesgroup nun Zeichen: Weg von der Stringenz, hin zur totalen Abwechslung. „Im Alter im Fußball aufzugehen, ist zu wenig.“ Hier wird nicht gesungen, sondern rezitiert: „Mit Andy Borg der Sonne entgegen“ verbindet textlichen Bewusstseinsstrom mit Hildegard Knefs Sprechgesang zu einem gesellschaftskritischen Dialog. „Selbst in Hamburg sagt man uns wohlwollend nach, wir seien Hamburger Schule aus Düsseldorf“, erklärt Sänger Vander. Hamburg ist für ihn, Multiinstrumentalist Max Stamm, Schlagzeuger Tom Vermaaten und Elektro-Künstler Stefan Jürke ohnehin kein Reizwort: „Eulen und Meerkatzen“ erscheint beim hanseatischen Plattenlabel Fidel Bastro, seit 2013 musikalischer Hafen der Rheinländer. Das Cover spielt mit der Ästhetik von Konzertplakaten der 1920er-Jahre und zeigt Sänger Vander als Eulenspiegel. „Auf dem Weg durchs Leben nimmt man die Nischen mit, die einem geboten werden. Bei mir war es so, dass das Theater sehr präsent war“, so Vander. „Im Alter im Fußball aufzugehen, ist zu wenig.“ Das Album handelt vom Verhältnis zwischen Mensch und Tier, inszeniert als anarchistisches Theater, bis in „Menschenfabel“ die Grenzen verschwimmen. Musikalisch bleibt das Fundament der Mod-Sound, die Türen bleiben offen für alle Stile. „Es war als reines Reggae-Album geplant“, erinnert sich Max Stamm. „Aber nach drei, vier Nummern haben wir festgestellt, dass Reggae nicht ausreicht, um eine Platte zu füllen.“ Von der Eingängigkeit und Stringenz des Durchbruchs „Gladbach oder Hastings“ ist nichts mehr zu spüren. „Mainfloor“ erklingt als cooler Powerpop, „Wasser im Zahn“ verströmt orchestrale Romantik und in „Kellergeister“ tobt ein elektrischer Sturm. Und in „Er erkennt dich nicht“ hallt sogar „Suzanne“ von Leonard Cohen nach. Der Veröffentlichung schließen sich im August Konzerte mit der Hamburger Band Der Bürgermeister der Nacht an. Zudem ist noch für dieses Jahr eine Split-Single geplant, auf der beide Combos Songs der Television Personalities auf Deutsch covern. Den kreativen Kurs setzt der Moment. „Wir können einfach machen, was wir wollen“, so Vander. „Die Türen sind offen und werden immer offen bleiben.“ Die Kiesgroup bleibt unberechenbar. MW Kiesgroups „Eulen und Meerkatzen“ erscheint am 29. Juli bei Fidel Bastro; kiesgroup.com Foto: Kiesgroup Seit Februar 2014 kochten H=Fx2 alias Heisenberg Fx am musikalischen Gegenstück zur fiktiven Droge Blue Sky aus der Erfolgsserie „Breaking Bad“. Jetzt überschwemmt das Ergebnis den Markt: Mit dem Album „Crystal Queenie“ gelingt ein chemischer Urknall zwischen Reggae („Celebrate“), Ska („Territory Rights“) und spacigem Schweinerock („Deadline“). Gitarrist und Sänger Meikel Clauss und Schlagzeuger Matej Havranek sorgen für die richtige Rezeptur, der Hammergroove der Songs für erhebliche Suchtgefahr. Foto: Glistening Leotard Foto: Unique Records Foto: December Youth Foto: Ogoya Foto: Johnson Schatz Die erste Veröffentlichung des Düsseldorfer Labels TAL ist ein Klangsouvenir, das die Musikreisenden Sven Kacirek und Stefan Schneider aus dem fernen Kenia heimgebracht haben. Auf „On Mande“ singen Ogoya Nengo And The Dodo Women‘s Group Hymnen und werden von exotischen Instrumenten wie der Nyatiti (Laute) oder Asili (Blockflöte) begleitet. Die Gesänge der Frauen sind Folkmusik pur, die Rhythmik des Sounds und die Dynamik mitreißend. Ein Schatz! Mit „Relive“ legen die melodiebewussten Hardcore-Punks December Youth ihr Debütalbum vor. Impulsives wie „We’ve Seen It All“ und Abwechslungsreiches wie „Common Blues“ markieren den Aufbruch der jungen Band weg vom Genre-Einerlei in Richtung ihres eigenen Soundkosmos. Dabei gelingt den Düsseldorfern mit den drei „Night Train Songs“ eine komprimierte Hardcore-Oper über die Magie der Begegnungen bei nächtlichen Zugfahrten. decemberyouth.de Die Blackberries haben mit dem Düsseldorfer Qualitätslabel Unique Records ein neues Zuhause gefunden. Auf „Greenwich Mean Time“ bleiben die vier Solinger weiterhin im Britpop verwurzelt, brechen aber mit Krautrock-Einlagen („Flowers Paint The Sky“) und Melancholie-Trips („My Love Still Shines“) in neue, psychedelische Sphären auf. Weidende Büffel auf dem Cover, Sinn für Harmonie in den Rillen des starken Albums. Live sind die Blackberries am 9.7. beim Open Source Festival zu erleben. blackberriesmusic.com Zum zehnjährigen Jubiläum bescheren Glistening Leotard ihren Fans ein Album mit dem Namen „GL5“, kunstvoller Aufmachung und progressivem Inhalt. In den Arrangements verschmelzen Funk („Skittish“), Dub („Unborn“) und jede Menge Rock zu Klangkunst, in deren Zentrum Jessica Näsers außergewöhnliche Stimme steht. „GL5“ beweist: Auch nach zehn Jahren bleibt das „Tobeprojekt für Zwangsgemütliche“ ein Garant für faszinierende Hörerlebnisse. glisteningleotard.de; MW

A L B E N M U S I C A S E Q U E N Z A B I F F Y C L Y R O V O N W E G E N L I S B E T H Sampling Baroque/ Händel Klassische Bestandteile mit Elektronica zu einer untrennbaren Melange zu verweben, ist ein Abenteuer. Kopf dieses Projekts ist Burak Özdemir, der den barocken Klang von Georg Friedrich Händel in den „Sound of Berghain“ ummünzt: mal klassisch und dub-techig, mal in purer Minimal-Techno-Manie und mal, als säße Giorgio Moroder hinter dem Mischpult. „Die elektronische Musik wirk im Gegensatz zu den Arien sehr kühl“, sagt Burak. Er wollte beide Genres in ihren Extremen halten. Die verträumten klassischen Elogen treffen hier auf die kalte Ästhetik der modernen Welt. Cool umgesetzt und atemberaubend arrangiert. Sony Music Ellipsis Philipp Lahm macht als Fußballer ja wenig Fehler auf dem Platz, aber irgendwie glänzt er auch nie so richtig. Genauso verhält es sich mit der Karriere von Biffy Clyro: Sie sind ein defensives Bollwerk und gleichzeitig vielseitig einsetzbar, aber magische, einzigartige Spielzüge darf man leider von ihnen nicht erwarten. Das ist hier Designer-Rock mit dicker Produktion. Viele Ergebnisklischees, die mit virtuellen Soundeffekten Eindruck machen sollen und genau so langweilig wirken wie ein Interview mit Lahm am Spielfeldrand direkt nach Spielende: Es kommen leicht berechenbare Allerweltsfloskeln ans Tageslicht, den es, wenig überraschend, an Substanz fehlt. Warner Grande Popmusik in Deutschland funktioniert mittlerweile viel zu oft nach der Bohlen & der Club of Gore-Methode: Bist du nicht im Handumdrehen ein Superstar, landest du schon morgen wieder auf dem blutigen Schrottplatz der Musikgeschichte. Und übermorgen kennt dich nun wirklich niemand mehr. Die Indi-Pop-Berliner von Von wegen Lisbeth versuchen ihre Welt da etwas anders zusammenzuzimmern. Die kopflastige Stimme von Matthias Rode bringt die Texte sehr chillig rüber. Irgendwas ist hier immer anders im Takt, aber stets sehr musikalisch austariert. Das hier ist kleiner Bubi-Pop mit einem großen Kopf: sehr facettenreich und sehr easy das Ganze. Columbia/Sony Music T H E S W A N S C O O G A N S B L U F F T H E L O W A N T H E M The Glowing Man In Industrial-Kreisen sind The Swans eine Art Guru. In frühen Zeiten setzten sie zwischen der No-Wave-Bewegung, etwas Art-Folk, sowie orchestralen Einflüssen und zähflüssiger Avantgarde wichtige Duftmarken. Ihr aktuelles Werk enthält wieder vermehrt Anleihen aus dem Noise Rock: hier sprudeln die Gitarren wie auf frühen Sonic-Youth-Alben zu einem eruptivem Gesamtkunstwerk. Michael Gira mimt gerne den Neurosen-Kavalier, der wie von einer post-traumatischen Belastungsstörung betroffen, sich als Prediger in einem düsteren Nachtschatten- Reich inszeniert. Das ist harte Kost, aber im richtigen Moment erschließt sich dieses Werk wie eine Wunderwaffe. Mute/Goodtogo Flying To The Stars Das Ensemble serviert saucoole Psychedelic- Songs mit swingenden Bläsereinsätzen und einer Vielzahl an fein ausgewählten Referenz- Schlenkern. Das Gift der Gefährlichkeit liegt dazu in der Luft. Schon die erste Nummer klingt, als hätte sich Klaus Doldinger mit Rocket From The Crypt zu einer Session verabredet. Wilder Saxophon-Punk ist dieser Bluff – ganz so, als würde James Chance eine ganze Nacht lang im Kettenhemd tanzen. Die Band zelebriert ein bösartiges Spiel mit der Provokation, sie nutzt es als Arbeits- und Werbeprinzip: Hier ist der Jazz nicht anders, sondern wie ein wildes Handgemenge in einer Bahnhofskneipe. Noisolution/Indigo Eyeland Manchmal sind junge Menschen nicht mehr zu retten. Die drängende Anschlussfrage bleibt dann unbeantwortet: Soll man es deshalb gar nicht mehr erst versuchen? The Low Anthem musizieren ganz einfach und überlegen dazu nicht lange. Diese Band wurde im Jahr 2007 von zwei Freunden gegründet, mit dem Ziel ein musikalisches Werk zu kreieren, das zeitgenössische Sounds mit traditioneller Musik vereint. Hier drehen sie alles durch den Fleischwolf, was ihnen lieb und heilig ist: John Cale, frühe Pink Floyd, elektronische Spielereien, Filmmusik, Drone und den Blues. Eine sehr individuelle Soundreise mit viel Platz zum Träumen. PH Washington Square/Rough Trade 37

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