26 | Theater Marvin Moers, Mike Kühne, Friederike Baldin, Mario Thomanek, Tine Scheibe (v.l.) in „Außer Kontrolle“ TURBULENT UND KLASSISCH ZWEI AUFFÜHRUNGEN, die unterschiedlicher kaum sein können: Eine turbulente Schauspielkomödie in Castrop-Rauxel macht Spaß und ein choreografischer Abend zeigt die Formenvielfalt des klassischen Balletts in Hagen. Das Komödiengenre wird an deutschen Theatern oftmals als oberflächlich abgetan, dabei zeigt sich gerade dort die große Kunst des Schauspiels: Timing, Tempo und eine punktgenaue Regiearbeit. Wenn dann die Vorlage stimmt, kann eigentlich nichts mehr schiefgehen. Am Westfälischen Landestheater in Castrop-Rauxel stand der britische Autor Ray Cooney bereits zweimal auf dem Spielplan, nun widmet sich Ralf Ebeling dessen Schwank „Außer Kontrolle“. Er schafft den schmalen Grat zwischen Klamauk und Komik, und er fügt die vielzähligen Überraschungsmomente perfekt aneinander. Im Zentrum steht Richard Willey, Staatsminister in der britischen Regierung, der sich in einer Londoner Hotelsuite mit seiner Geliebten Jane, der Sekretärin der Opposition, trifft. Vordergründig zur Parlamentsdebatte angereist, wird der ge- plante Ehebruch zum Desaster. Hotelmanager und Kellner merken schnell, dass da was faul ist und eine Leiche im Fenster bringt Schwung in die Handlung. Tür auf, Tür zu - die weiteren Verwicklungen und Notlügen Willeys sind bis zur Pause schon so turbulent, dass man als Zuschauer schon richtig aufpassen muss, um den Überblick zu behalten. Aber es geht noch mehr: Ein Toter wird lebendig, betrogene Ehepartner drehen durch, ein verklemmter Assistent wird zum unverhofften Gigolo. Allen voran treibt Mike Kühne als Willey den Komödienmotor an, vielleicht etwas zu überdreht, aber im perfekten Zusammenspiel mit Mario Thomanek als George Pigden, der als Unbeteiligter immer mehr in die Lügengespinste seines Chefs hineingezogen wird. Burghard Braun als Hotelmanager steht der Widerwillen angesichts des Sittenverfalls in seinem Hotel ins Gesicht geschrieben. Mit feinsinnigem Humor spielt Guido Thurk den Kellner Cromwell, dessen Mimik mehr sagt als Worte. Herrlich anzusehen ist Jane (Friederike Baldin), die auf der Flucht vor ihrem Ehemann Ronnie (Tobias Schwieger) ist, der den gehörnten Gatten als Halbstarker in Bomberjacke und Turnschuhen gibt. Kraftstrotzend jagt der wilde Ronnie seinen Widersacher, also Willey, wobei er diesen zunächst mit dem Assistenten Pigden verwechselt ... So bedient der gut zweistündige Abend alle Schubladen des humorvollen Faches und er erinnert an so manche Schlagzeile rund ums britische Parlament, dessen Debattenkultur oftmals auch für hohen Unterhaltungswert in der Realpolitik sorgt. „Außer Kontrolle“ von Ray Cooney: 5.2. in Dorsten, 26.2. im Theater Marl
Theater | 27 Foto: Volker Beushausen In einem spannenden, dreiteiligen Tanzabend zeigt sich das Ballettensemble vom Theater Hagen unter der Leitung von Francesco Nappa in Hochform. Die Anforderungen an die Tänzer sind enorm, aber auch das Publikum ist gefordert – ein wenig theoretisches Vorwissen hilft ungemein, um die Qualität dieser Aufführung wirklich wertschätzen zu können. In der 2004 von Mauro Bigonzetti entwickelten Choreografie „Rossini Cards“ entstehen humorvolle, lebensbejahende Bilder zu verschiedenen Musikstücken aus „Otello“ und „La Cenerentola“ von Gioachino Rossini. In schwarzen Anzügen gekleidet präsentiert sich eine Gruppe mit athletischen Sprüngen, ein anderes Mal agieren die Tänzer:innen synchron um eine große Tafel oder sie verwickeln sich in einem großen Knäuel. Eindringlich ist die Passage von Carolina Verra und Stefano Milione zu Rossinis „Péchés de vieillesse“ live am Klavier begleitet, deren Körper in kunstvoller Langsamkeit zu verschmelzen scheinen. Der zweite Teil der Aufführung wirkt wie eine choreografische Versuchsanordnung. In „Rune“ des Tanzrevolutionärs Merce Cunningham aus dem Jahr 1959 lässt sich die Weiterentwicklung des klassischen Balletts ablesen. Cunningham wollte weg vom Gefühl und der dramaturgischen Erzählung hin zu fest gelegten Bewegungsabfolgen in Zufallsreihenfolge. Das damalige Publikum war schockiert. Heute sieht man den wiederkeh- renden Bewegungsmustern fasziniert zu und versucht, (vergeblich) eine äußere Logik zu entdecken. Minimalistische Klänge, komponiert von Christian Wolff für zwei Klaviere, verstärken die Irritation im Kopf des Betrachters. In Ganzkörperanzügen im Farbdesign nach Robert Rauschenberg gekleidet, rotieren die Oberkörper in die Diagonale, erstrecken sich weit in den Raum, während die Beine die Balance halten. Cunningham, der privat und beruflich mit John Cage nach neuen Formen für die Tanzkunst gesucht hat, gilt zu Recht als Vorreiter des modernen Balletts. Zum Abschluss präsentiert Ballettdirektor Francesco Nappa „Insideout“, eine Choreografie, die seinem Ensemble abermals einiges abverlangt. Masken und Schleier verklären ihnen die Sicht, im nächsten Moment zeigen sie sich im energetischen Gruppentanz zu lauten elektronischen Beats. Vorangestellt ist ein assoziatives Textfragment, rund um Wahrnehmungen des Ichs und Reflektionen zum Thema Identität. Passend dazu gibt’s ein silbrig verspiegeltes Bühnenbild und einen atmosphärisch düsteren Einstieg in die Szenerie. Trotz der Kraft der Bilder will das dramaturgische Konzept nicht recht zünden, was aber dem insgesamt höchst bemerkenswerten Tanzabend nicht weiter schadet. AS „Re-Creations“: 24.2., Theater Hagen Foto: Andreas Etter Yu-Hsuan (Mia) Hsu, Ensemble in der Choreografie „Insideout“ im Stück „Re-Creations“
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