Events, Trends und Reportagen für die Rhein-Ruhr-Region
Aufrufe
vor 7 Jahren

Dezember 2016 - coolibri Düsseldorf

  • Text
  • Wuppertal
  • Krefeld
  • Dortmund
  • Neuss
  • Oberhausen
  • Jazz
  • Sucht
  • Solingen
  • Musik
  • Kinder
  • Www.coolibri.de

T H E M A Empörung

T H E M A Empörung machte sich in Düsseldorf und über die Stadtgrenzen hinaus breit, als Oberbürgermeister Thomas Geisel im Oktober seine Gedanken zur Sanierung des Schauspielhauses öffentlich machte. Mitte November trafen sich Vertreter des Hauses zu einer Podiumsdiskssion. Nadine Beneke war vor Ort. Vor nunmehr zwei Jahren formulierte Wilfried Schulz, damals noch Intendant des Staatschauspiels Dresden, bei einer Pressekonferenz die Wünsche für seine Zeit am Düsseldorfer Schauspielhaus: „Es geht mir nicht darum, das Haus voll zu kriegen. Es geht mir darum, mit Menschen ins Gespräch zu kommen.“ Gelungen ist ihm, innerhalb kürzester Zeit, beides. Auch wenn er das eigentliche Haus am Gustaf-Gründgens-Platz noch gar nicht bespielen konnte. Sympathieträger Die Premiere des Eröffnungsstückes „Gilgamesh“ im Theaterzelt auf dem Corneliusplatz wurde dennoch gefeiert, Schulz schnell als Sympathieträger ausgemacht. Bitter nötig, schaut man sich den Intendantenverschleiß, die katastrophale finanzielle Lage und die künstlerischen Talfahrten der vergangenen Jahre an. Aus genau dieser Krise sollte sich das Schauspielhaus befreien. Der renommierte Dramaturg und Intendant wurde berufen, um aus dem Haus einen Mittelpunkt der Stadt und eines der wichtigsten Theater des Landes zu machen. Ausverkaufte Premieren und Vorstellungen zeigen: Der Zuspruch für die künstlerische Arbeit ist groß. Geblieben – und gestiegen – ist das poröse Gebäudeproblem. Bereits im Januar 2016 zog die komplette Mannschaft des Schauspielhauses in die Ausweichspielstätte des Central um. Ein Fünf-Punkte-Plan zur Sanierung wurde erstellt. Ursprünglich sollten die technischen Sanierungen bis zur Spielzeit 16/17 abgeschlossen sein. Zahlreiche Behelfsreparaturen waren den aktuellen vorausgegangen. Hinzu kam der Abriss der Tiefgarage unter dem Gustaf-Gründgens-Platz im Zuge der Bauphase „Kö-Bogen II“. Dieser machte den Wiedereinzug während der aktuellen Spielzeit – anders als geplant – unmöglich. Inzwischen steht der Herbst 2018 als Wiedereröffnungstermin im Raum. Daran hat vor allem Oberbürgermeister Thomas Geisel Zweifel. Großer Unmut Normalerweise als Kulturfreund bekannt, trat ausgerechnet Geisel im Oktober eine bundesweite Diskussion über Kultur und ihren Wert los. Er stellte auf Basis einer Neubewertung der Situation am Schauspielhaus und einer Kostensteigerung der Sanierungsarbeiten von 11 auf 21 Millionen den Standort am Gustaf-Gründgens-Platz und seine Rentabilität infrage. Außerdem zweifelte er laut, ob die öffentliche Hand weiterhin der richtige Träger des Ganzen sei. Stichwort: Public Private Partnership. Er zog den Verkauf des 1965 bis 1969 erbauten und von Architekt Bernhard Pfau entworfenen Gebäudes in Erwägung. Aus einem einfachen Grund: Waren Stadt und Land bislang beide Träger der Kosten, muss die Stadt Düsseldorf die kommende Bauphase an der Außenhaut selbst tragen. Diese schlägt noch einmal mit 25 bis 30 Millionen zu Buche. Großer Unmut über die Äußerungen Geisels, nicht nur in Düsseldorfer Kulturkreisen, war die Folge. 8 „Wahnsinnig viel Liebe ist dem Schauspielhaus in den vergangenen 40 Jahren nicht entgegengebracht worden.“ Während Schulz sich Mitte November bei der öffentlichen Podiumsdiskussion zur Zukunft des Schauspielhauses ob des großen Zuspruchs „wie Klopp in Liverpool“ fühlte, ging es für Geisel deshalb um Schadensbegrenzung. Über 500 interessierte Zuhörer waren gekommen. Schnell machte der Oberbürgermeister auf der Bühne des Central klar, dass ein Abriss des Schauspielhauses „nie auf dem Tisch“ gewesen sei. Laute Lacher im Publikum ertönten. Fakt ist, dass die Sanierungen nach aktuellem Stand bereits 57 Millionen Euro gekostet haben. Geisel fürchtet, so machte er deutlich, die weiteren, kommenden Kosten und die Unberechenbarkeit des Bauverlaufs. Tröpfchenweise wurden in den vergangenen Jahren immer mehr Schäden entdeckt. Die Rede ist nun von einer Sanierung, die die nächsten 30 bis 50 Jahre des Hauses absichern soll. Eine städtepolitische Klausel verbietet es dem Oberbürgermeister allerdings, Kredite aufzunehmen. Kein „nice-to-have“ „Kö Bogen II“-Architekt Christoph Ingenhoven bemerkte treffenderweise: „So wahnsinnig viel Liebe ist dem Schauspielhaus in den vergangenen 40 Jahren nicht entgegengebracht worden.“ Diese Vernachlässigung ist sichtbar. Die Außenfassade rostet, blättert ab, aber auch innen sei einiges im Argen, wie Schulz betonte: „Es geht nicht um ein nice-to-have.“ Der Fahrstuhl im Foyer funktioniere längst nicht mehr. Wie der Eingangsbereich aktuell beheizt werde, darüber könne nur spekuliert werden. Kurzum: Die eigentliche Schönheit des modernen Prachtbaus hat Sanierung nötig, darüber waren und sind sich alle Parteien einig. Rational betrachtet macht Geisel vor allen Dingen seinen Job, indem er sich weder auf ein konkretes Datum noch sonstige Versprechungen festlegen will. Auch das Argument, dass es noch weitere kulturelle Einrichtungen in der Stadt gebe, die unterstützenswert seien, ist eigentlich logisch nachvollziehbar. Doch wenn es um das bislang stets sehr versteckte Wahrzeichen der Stadt geht, spielt Logik nicht die erste Geige. Als Geisel anmerkt, dass das Geld schließlich nicht irgendwann in den Schulen fehlen solle, wird er schallend ausgebuht. Die Grundsatzdiskussion, ob Theater tatsächlich in einem großen Haus stattfinden müsse, wird abgebügelt. Zu durchschaubar die Strategie dahinter. Die Düsseldorfer lieben ihr weich geschwungenes Wahrzeichen, das erst durch die neue städtebauliche Entwicklung richtig zum Vorschein kommt. Das „Thema der Bürgeranleihe“ wirft Geisel in den Raum und bekommt schließlich Applaus. Im Laufe des Abends wird klar, dass viele Bürger bereit wären, für ihre weiße Perle in den Geldbeutel zu greifen. Und auch Schulz bringt sich wieder ins Spiel. „Sie können auch mir in die Tasche greifen, Herr Geisel“, sagt er verschmitzt. Aber erst nachdem er ins Gedächtnis ruft: „Theater ist nicht, in einen beliebigen Raum eine Bühne reinzustellen. Wir sind es gewohnt, dass ein Theater die Welt abbilden kann.“ Die momentane, auch logistisch schwierige Ausnahmesituation ginge „auf die Knochen der Mitarbeiter“. Zum Schluss der Diskussion wagt der Neu-Düsseldorfer das Träumen: „Wäre es nicht schön, Herr Geisel, wenn wir Ende 2019 auf dem Platz stehen würden, Kinder spielen und innen läuft ein konsumkritisches Stück von Elfriede Jelinek? Ich bin bereit, vieles dafür zu tun.“ Damit ist Schulz nicht allein.

T H E M A G e l i e b t e P e r l e 9 Foto: Sebastian Hoppe//Schauspielhaus Sebastian Hoppe

coolibri Magazine 2020/21

coolibri Magazine 2019

coolibri Magazine 2018

coolibri Magazine 2017