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coolibri Campus NO 02

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Das Wintersemester 2015/2016 hat gerade begonnen, da wird die Welt, wie wir sie kennen, in ihren Grundfesten erschüttert. Denn am 21. Oktober landet im amerikanischen Hill Valley Marty Mc Fly, der vor exakt 30 Jahren „Zurück in die Zukunft“ gereist ist. Gleichzeitig erlebt ihr Studis gerade eure ganz eigene Reise durch die universitäre Gegenwart. Für euch haben wir das neue Campus-Magazin entwickelt. Als Ratgeber, Handbuch für abendliche Zerstreuung oder als Pausenfüller zwischen den Seminaren.

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SERVICE Foto: WavebreakMediaMicro - fotolia.com 24 Campus Wintersemester 2015/16

HOCHSCHULDIDAKTIK Stiefkind der Wissenschaft Seminare, in denen durchgehend nur Referate gehalten werden oder irgendwo vorne ein Dozent einen Monolog hält: Durch solche Kurse hat sich schon so mancher Student quälen müssen. Das Resultat sind genervte Gemüter auf beiden Seiten: Bei den Studierenden, weil sie sich langweilen und nicht mitgenommen fühlen, bei den Lehrenden, weil sie sich eben diesen gelangweilten Gesichtern gegenüber sehen und ihnen die Lehre schon wieder die Zeit stiehlt. Wo liegt also der Fehler im System? Wir haben uns einen Hochschulprofessor geschnappt und der Sache auf den Zahn gefühlt. Professor Dr. Björn Rothstein gehört zu den lehraffinen Vertretern seiner Zunft – das sieht man schon an seinem Lebenslauf. Der Germanist ist mit Ende 30 Professor für Linguistik und Sprachdidaktik an der Ruhr-Universität Bochum. Nach seiner Promotion machte er zunächst ein Referendariat an einem Gymnasium in Tübingen. Trotzdem rät er seinen Mitarbeitern, die noch keine unbefristete Stelle haben, möglichst viel Zeit für die Planung, Durchführung, Verschriftlichung und Veröffentlichung ihrer Doktorarbeit und sonstigen Projekten freizuhalten. „Schließlich werden sie für die Forschung evaluiert und weniger für die Lehre“, erläutert er. Die sei zwar auch wichtig, Voraussetzung für eine Dauerstelle sei aber nun mal die Doktorarbeit, weitere Veröffentlichungen und Vorträge. Gibt es also in Hinblick auf die Karriere gar keinen besonderen Anreiz für Nachwuchsakademiker, sich in der Lehre besonders hervorzutun? Können sie lehren? Können sie prüfen? Dem wiederum widerspricht Björn Rothstein entschieden: „Da hat sich in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren viel getan. Mittlerweile spielt beides eine große Rolle. Wer eine Professur innehält, muss neun Semesterwochenstunden unterrichten, für eine Ratsstelle sind bis zu 18 vorgesehen. Deshalb möchte man von den Kandidaten auch immer wissen: können sie lehren, können sie prüfen und wie breit sind sie dabei fachlich aufgestellt?“ Dazu wird bei der Berufung, so nennt sich der Bewerbungsprozess, konkret danach geschaut, welche Arten von Kursen gegeben wurden, welche Themen der Bewerber unterrichten und prüfen kann. Ebenfalls nicht unüblich sind Lehrproben. Diese laufen ähnlich ab wie bei der schulischen Ausbildung und müssen von einem eingereichten Konzept begleitet sein. „Es gibt tatsächlich Kandidaten, die sich mit so einer Lehrprobe rauskegeln, aber auch solche, die einen etwas schwächeren wissenschaftlichen Vortrag damit ausgleichen können“, berichtet Rothstein. Nachwuchsakademikern rät er deshalb, beide Fähigkeiten zu schärfen, sich also ein schönes, breites Lehrportfolio anzulegen, sich aber gleichzeitig in der Forschung zu spezialisieren und durch Veröffentlichungen auf sich aufmerksam machen. Wer an der Ruhr-Universität promoviert, kann dazu beispielsweise Kurse an der Stabsstelle Interne Fortbildung und Beratung (ifb) belegen. Das hier angebotene, Hochschuldidaktische Qualifizierungsprogramm besteht aus insgesamt drei Modulen, die Workshops und Kurse rund um das Thema Lehren und Prüfen beinhalten und auch Lehrproben vorsehen. Nach jedem abgeschlossenen Modul kann ein Zertifikat erworben werden. Auch die TU Dortmund und die Universität Duisburg-Essen bieten dieses vom Netzwerk Hochschuldidaktik NRW zertifizierte Programm an. Verpflichtender Teil der akademischen Ausbildung ist es allerdings nicht. Die Promotionsordnung sieht in der Regel keine verpflichtende Anzahl an Lehrstunden vor. Erst bei der Habilitation (Prüfung zum Professorentitel) verlangen manche Universitäten und Fachbereiche Lehrerfahrung. Die kann aber oft schon mit einem gegebenen Kurs nachgewiesen werden. Ist sie gar nicht vorhanden, kann es auch hier zu einer Probestunde kommen. Der Umfang ist also sehr gering und der Zeitpunkt relativ spät, der Schwerpunkt liegt weiter auf den Forscherqualitäten. In Sachen Lehre ist damit von Anfang an viel Eigeninitiative gefordert. Budget, Projekte und Personal Wer einmal eine Professur oder einen Lehrstuhl innehat, auf den warten neben Forschung und Lehre noch weitere Aufgaben: „Man kümmert sich viel darum, zusätzliches Budget für Projekte und Personal einzufahren“, erklärt Rothstein. „Man kann ja immer wieder davon lesen, wie gut oder wie schlecht die Universitäten finanziert werden. Das ist ja etwas, das allgemein auf das Bildungswesen zutrifft.“ Der gängige Weg, um das Budget aufzustocken, geht über das Anwerben von Drittmittel. Das sind Gelder, die von Privatunternehmen oder Wissenschaftsstiftungen gestellt werden. Diese Drittmittel werden in der Regel für bestimmte Forschungsprojekte beantragt und sind dann auch an diese gebunden. Gebraucht werden sie zum Beispiel für die Einstellung zusätzlicher Hilfskräfte, die Anschaffung von Arbeitsmaterialien wie Computer oder Bücher und sonstigen Aufwendungen. Je mehr erfolgreiche Projekte ein Institut umsetzen kann, desto höher ist das Prestige und das fällt auch auf die Uni zurück. Man kann sich also ausmalen, welchen Stellenwert das Anwerben von Drittmitteln in der universitären Welt hat. Lehre darf nicht abgewälzt werden Entsprechend ist für Björn Rothstein der größte Stolperstein für gute Lehre mangelnde Zeit. Gut 30 bis 50 Prozent der Arbeitszeit eines Hochschulprofessors fließt nach seiner Schätzung in die Vorbereitung und Durchführung der Unterrichtseinheiten sowie in die abzunehmenden Prüfungsleistungen. „Es kann aber während eines vollen Semesters noch weiter nach oben gehen, sodass man zu nichts anderem mehr kommt.“ Seine Lösung, diesem Problem zu begegnen, ist naheliegend: „Wir bräuchten viel, viel mehr Personal. Kleinere Lerngruppen sind auf jeden Fall von Vorteil.“ Doch auch hier lauert eine Falle: „Die Lehre darf nicht nur auf externe Lehrbeauftragte abgewälzt werden, denn die werden unterdurchschnittlich bezahlt und sind jeweils auf ein Semester begrenzt. Damit wird beiden Seiten die Planungsmöglichkeit genommen.“ Darüber hinaus ist die Kombination aus Forschung und Lehre für ihn ein Erfolgsmodell: „Wir brauchen nicht nur ausgebildete Lehrer, sondern auch Forscherpersönlichkeiten. Wenn ich an meine eigenen Hochschullehrer zurückdenke, dann waren diejenigen, von denen ich etwas gelernt habe, immer auch sehr, sehr gute Forscher, die ein Thema, das sie interessiert hat, für den Unterricht aufbereiten konnten. So hatte man den Eindruck, dabei zu sein, während eine Studie konzipiert oder ein Aufsatz geschrieben wird. Im Anschluss wurden diese dann diskutiert.“ Gerade letzteres macht seiner Meinung nach gute Hochschullehre aus: „Dass man sich hierarchielos über wissenschaftliche Gegenstände verständigt und Theorie, Empirie, Methode und Diskussion gleichwertig vermittelt.“ Nicht zuletzt seien bei einer guten Lehrveranstaltung allerdings auch die Lernenden gefragt: „Wenn wir als Lehrende versuchen, das Maximale zu geben, erwarten wir das auch von den Studierenden.“ Lisa Sänger Wintersemester 2015/16 Campus 25

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