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August 2018 - coolibri Bochum

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INTERVIEW „Europa m

INTERVIEW „Europa m uss abgeben“ R U H R G E B I E T DieVorbereitungenzuStefanie CarpsersterRuhrtriennalewurden überschattetvon einem heiklen Thema: Mit den Young Fathers hattedie Intendantin eine Band eingeladen,die in der Israel kritischenKampagne BDSaktiv ist. Einige ihrerAktivistenstellendas Existenzrechtdes StaatesIsrael in Frage, stehen unterdem Verdachteiner antisemitischenEinstellung. StefanieCarp hatdie Young Fathers erst ausgeladen,dannmit Verweis auf dieFreiheit der Kunstwiedereingeladen. Damit löstesie heftige Irritationen in denMedien undder NRW-Landespolitikaus,auch ihr Rücktrittwurde gefordert.Als MaxFlorian Kühlem Stefanie Carp zu einem InterviewamDüsseldorfer Flughafentraf, stellteerdeshalb natürlich auch eine MengeFragen zumThema BDS und Israel –unter anderem, ob siesichvorwerfe, durchdie Diskussion um dasYoung-Fathers-Konzert BDS in Deutschland bekanntergemachtzuhabenund ob siezum ExistenzrechtIsraelsstehe. Stefanie Carp hatausnahmslosalleFragen undAntworten zu diesem Themanicht freigegeben. Am 18.Auguststellt sie sich einer öffentlichenDiskussion in der BochumerTurbinenhalle,die anstattdes Konzerts stattfindet. Wasbedeutetihr Motto„Zwischenzeit“? Ichglaube, dass wirallespüren, dass sich etwasverändern wirdund verändern muss, dass wirunsereArt zu Lebenändernwerdenmüssen. Wir müssenauf derökologischenund ökonomischen Ebeneumdenken.Wir müssenmehrGerechtigkeitund Offenheitinden europäischen Gesellschaften herstellen,unsereDemokratien verteidigen undmit allem, was wir können, versuchensoetwas wiehumaneGrundforderungendurchzusetzen.Was ichmit „Zwischenzeit“ meine, istdasswir im Moment noch in einerkurzenZeitspanneleben,das erkennenzukönnenund handlungsfähigzusein. Wir solltenmit viel Mutund Enthusiasmus an einemneuen Entwurffür unsere Gesellschaft arbeiten–derunter anderemauch bedeutet, dass wirEuropäerabgeben müssen, unsverkleinern müssen. EinThema, das sich durchihr Programm zieht, istdie Schuld, dieEuropainder Kolonialzeit aufsichgeladen hat. Istjetztdie Zeit, sich diesebewusst zu machen? Ja. Dieflüchtenden Menschenaus denRegionen, diewir früher DritteWeltnannten, sind einsichtbaresZeichen dieses neuenZeitalters.Sie kommen zu unsund sagenzuRecht: Wirwollenjetzt auch einStück desReichtums,den ihr aufunsereKostenerworben habt. Dass dieser Tagkommenwürde,hätte manerwartenkönnen.Jetzt istdie historische Phase, in derdas passiert unddazu müssen wir unsverhalten. 6 Stefanie Carp Wollen Siewie ihrVorgänger JohanSimons neue Industriehallenals Kunsträume entdecken? Das wäre natürlich schön, istaberauch sehr kostenintensiv.Ein Problemder Ruhrtriennale,das selten benanntund besprochen wird, istjetzt schon, dass eingroßerTeildes Budgets in dieSpielbarmachung derHallen fließtund immer wenigerbleibt übrigfür das, wasdann daringeschehen soll.Wennich einenneuenOrt bespielen will,wirdesbesonders teuer. DerkostengünstigsteOrt für mich istdie Jahrhunderthalle, weil da allesschon installiertist.Die ZecheLohberg zu bespielenist hingegensehrsehrteuer. Trotzdem haben Christoph Marthalerund ichuns vorgenommen, unsmit einerArbeitzum Abschluss unsererRuhrtriennale2020explizitmit derschmerzhaften undauch schönenGeschichteder Zechezubeschäftigen. Siegehen also trotzder Diskussion um dieEinladungder Band YoungFathers und dervereinzeltenRufenachRücktritt davonaus,dassSie bis 2020 Intendantinbleiben? Ichplane selbstverständlich für dieJahre 2019 und2020. Foto: Edi Szekely(Ruhrtriennale Eindirektauf das Ruhrgebiet gemünztesProjekt derkommendenSaison sind Schorsch Kameruns „Nordstadt Phantasien“. Da geht es nichtumKohle und Industriearbeit, sondern Gentrifizierung.Ist das nichtein Berlin-Problem? IchfandSchorschs Idee totalwitzig, einfach einmal zu behaupten, dasRuhrgebiet seitotal in oder in einemStraßenzugginge es unglaublich ab.Bei ihm istessatirisch gemeint, aber gleichzeitig passiert es ja tatsächlich schon– undDortmundist eingutes Beispiel für eine Stadt, diedurch jungeund kreativeInitiativen belebt wird. Unter Umständenkann es sehr schnellgehen,dassdann auch dieNachteile einersolchenEntwicklungerlebbarwerdenund zumBeispieldie Mieten steigen.Die Grundbehauptung derProduktionkönnte demRuhrgebietauch etwasSelbstbewusstsein geben, weil hier natürlichungeheuervielpassiert.

INTERVIEW Ruhrtriennale 9.8.-23.9., verschiendene Orte, Ruhrgebiet „The Head andthe Load“ Foto: Stella Olivier /Ruhrtriennale Bleibt alles anders –Tipps zur Ruhrtriennale Miteinem Intendantenwechsel ändert sich nichtzwangläufig alles. StefanieCarphat vonihrem VorgängerJohan Simonszum Beispiel die Idee übernommen,den Vorplatz derJahrhunderthalleBochummit einem kreativenFestivalzentrumzubespielen. „Third Space“ derinsolchenKontexten ungemein oftgebuchtenGruppeRaumlaborberlin soll aussehen wieein bruchgelandetesFlugzeugoderein öffentlicher Reparaturbetrieb undöffnetwährend desFestivals mittwochsbis sonntags. Ebenfalls aufJohan Simonsgeht dieTradition derEröffnungsrede zurück: Am 9.8. in derGebläsehalle Duisburg hältsie VandanaShiva.Die Inderin istAtomphysikerin,Aktivistin, Trägerin desAlternativen Nobelpreisesund eine derwichtigsten Gegnerinnen derKommerzialisierung vonNahrungsmitteln.Als der Wald,indem sieihre Kindheitverbrachte, einerApfelplantage weichen musste, wurde siezueiner dergrößtenKritikerinnen derGrünenRevolution.Inder Festivalrede „Earth DemocracyNow“entwirftsie ihre Vision für dieglobaleGesellschaftdes 21. Jahrhunderts. VandanaShiva Dassdie RuhrtriennalediesesJahrbereits so früh im August beginnt, liegtdaran,dassIntendantin StefanieCarpunbedingt densüdafrikanischenKünstlerWilliam Kentridge dabeihaben wollte.Seine Kreationaus Musiktheater,Tanzund BildenderKunst „The Head andthe Load“ folgtam Foto: Navadanya /Ruhrtriennale 9.8. aufdie Festrede undfindetinder KraftzentraleDuisburg statt. Dieinstallativeund szenischeArbeitsetztsichmit einemkaumerforschten Kapitelder Geschichte auseinander:der RolleAfrikas im ErstenWeltkrieg. Zwei Millionen Menschen wurdendamals vonden Kolonialmächten gezwungen, für sieinden Krieg zu ziehen. Flucht- undMigrationsbewegungen sind ThemainvielenProduktionen desFestivals.Explizitmit demThema auseinandergesetzthat sich die ChoreographinSasha Waltz, vonder StefanieCarpsagt: „Ich konnte gar nichtglauben,dasssie noch niebei derRuhrtriennale war.“Inihrer Choreographie ohne Bühnenabgrenzunguntersuchen Waltzund ihre Kompanieabdem 15.9.inder Bochumer Jahrhunderthalledie Bedeutungsebene desneugriechischen Worts „Exodos“,das einerseits dasAusgehen insNachtleben, in Bars undClubs, aber auch Fluchtsowie denkonkretenAusgang,auf deneineFluchtzusteuert,bedeutenkann. EinSchauspiel-Kultstückist ab dem30.8. im Musiktheater im Revier Gelsenkirchen zu erleben: „Bekannte Gefühle, gemischteGesichter“ hat Christoph Marthalerals Abschied von derCastorf-Ära an derBerliner Volksbühneinszeniert. Es suchtmit vielen Liedernund wenigenWortennach derVergänglichkeit im Theaterund demVerhältnis vonKunst und Kunstbetrieb. ChristophMarthaler Foto: Edi Szekely /Ruhrtriennale 7

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