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August 2016 - coolibri Ruhrgebiet

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M U S I K V O N H I E R

M U S I K V O N H I E R Der Albumtitel „Secondhand Diamonds“ des Dortmunder Duos Rawsome Delights spricht für sich: Hier gibt’s ausschließlich gecoverte Songs, allerdings in unbeschwert-glitzernder Weise neu interpretiert. Mit zwei Stimmen, Gitarre und Kazoo (ein kleines Membranophon, das beim Ansingen den Ton der eigenen Stimme verändert) hauchen Jennifer Weng und Eddie Arndt Lieblingsstücken der Vierzigerbis Siebzigerjahre neues Leben ein – vor allem Songs aus den Bereichen Folk, Rock’n’Roll, Jazz und Swing. rawsome-delights.de Tizzle Die Tragik im Rap-Theater Rapper Tizzle aus Herten schreibt kluge Texte und kann mit Klischees wenig anfangen. Sein „Regentanz-Mixtape“ präsentiert er live am liebsten mit fünfköpfiger Truppe in Wohnzimmer-Kulisse. Beim S-Clubraum-Bandcontest ließ er die Rock-Konkurrenz hinter sich und machte den ersten Platz. Inga Pöting hat nachgefragt. Rap-Klischees lehnst du ab – worauf kommt’s dir stattdessen an? Auf echte Geschichten, echte Schwächen und gemeinsame Nenner. Ich erzähle in meiner Musik viel von mir selbst und mag es auch als Musikkonsument, wenn ich einem Künstler glauben kann, was er erzählt. Dein Künstlername ist aber schon irgendwie Klischee ... Alte Schule. Der Name ist 13 Jahre alt. Ich versuche zwar, den Klischees zu entkommen, aber dennoch liebe ich Hip-Hop. Trotz Floskeln und Phrasen ist mir wichtig, das Hip-Hop als Kultur ernst genommen wird. Ich stehe zu dem, was Rap ist, aber finde, die Zeit von „Yo, Yo, Yo“ ist vorbei. „Mir ist wichtig, dass Hip-Hop als Kultur ernst genommen wird.“ Dein Regentanz-Mixtape spielt mit Blueselementen – wieso passt das? Weil die Melancholie so schön ist! Die Tragik schreibt die größten Lieder und nichts inspiriert mich mehr. Ich lege einen großen Fokus auf das Songwriting und beschränke mich dabei nicht nur auf Rap-Anglizismen. Außerdem mag ich den alten Sound einfach und bin auch von Blues- und Soulkünstlern beeinflusst worden. Was macht deine Live-Gigs aus? Zurzeit treten wir in einer fünfköpfigen Formation auf. Wir wollen eine richtige Show bieten, arbeiten mit Requisiten und Theaterelementen. Wir erschaffen unser eigenes Bühnenbild und bringen eine wirklich bunte Mischung an Stimmungen mit. Ich stehe jetzt seit über zehn Jahren mit Tkay auf der Bühne und wir konnten uns unser Feuer bis heute bewahren. Du hast nach deinem S-Clubraum-Sieg als Opener für die Neue Philharmonie Westfalen gespielt – eine skurrile Mischung. Wie war’s? Da treffen tatsächlich Welten aufeinander! Ich stelle mich aber gerne einem Publikum, das keine großen Vorstellungen von Hip-Hop hat und versuche es zu überzeugen. Für mich ist Musik ein Ganzes, ich versuche mir wenige Grenzen zu setzen und kooperiere auch gerne genreübergreifend. Live: 9.9. Jam De Luxe, Ratingen Reinhören: soundcloud.com/tizzle-der-mondmann Foto:Künstler Die Carving Tales fanden sich an der Essener Folkwang-Uni und erlauben sich eine Genre- Fusion ihrer eigenen Lieblingsmusik. Da trifft klassische Musik auf Elektronik, Jazz auf Pop und Avantgarde. Erklärtes Ziel: „Schöne Musik zu machen, die träumt, fühlt, erzählt und berührt“. Das gelingt mindestens im Fall der EP „Rainsteps“ – die klingt wie aus einem Guss, bringt dabei aber eine sympathische Portion Chaos mit, die jeden Song aufs Neue spannend macht. carvingtales.com The Unhottest aus Essen beschreiben sich selbst als zwei DJs und Produzenten mit Vorliebe für „paintings, music, little clubs, chocolate and good people“. Ähnlich geschmackvoll kommt ihr zweites Album „Double Universe“ daher: Es pendelt sacht zwischen Techno und House, mischt deepen Grundbeat mit feinsinniger Melodie. Das geht selten mal voll nach vorne, aber wenn, dann richtig – und weckt dabei schönste Assoziationen verrauchter Clubnächte und verträumter Großstadtabenteuer. facebook.com/theunhottest Harte Worte, dieser Bandname meint eher Sound als Inhalt. Die Punkrocker singen Liebeslieder an den Pott, die Musik und ein Leben, das kaum mehr braucht. Mit ihrem „Pottcore“ treffen sie den Nerv aller, die wie Sänger Marco gern mit Hansapils am Baggerloch sitzen – oder, wie in Musikvideo Nummer zwei, bis spät nachts im Lieblingsclub rocken. Die Single „Punkrock Allianz“ entstand übrigens in Kollaboration mit Kollegen von Emscherkurve77 und Brigade S im Don’t Panic (früher Panic Room) in Essen. harteworte-band.de Die Arbeitstiere kommen aus Herne und Castrop und schrieben als The Greeds zunächst englischsprachige Songs, bevor sie sich umbenannten und an deutsche Texte wagten. Die kritisieren – wie der Bandname vermuten lässt – die Leistungsgesellschaft, aber auch falsche Liebe und die rare Sonne in Deutschland. Das Alternative-Rock-Gewand steht den Songs gut, man sperrt sich aber auch nicht gegen Metal- und Akustikmomente. facebook.com/arbeitstiereband, ip

A L B E N B L U E S P I L L S D E L A S O U L F U N N Y V A N D A N N E N Lady In Gold Die aus Schweden stammenden Blues Pills sind Alleskönner, weil sie gewohnte Rock-Klischees gekonnt umschiffen – so auch auf ihrem zweiten Studioalbum. Der Song „Burned Out“ zeigt ihre einzigartige Klasse: Eine düstere Blues-Gitarre, wie sie Mick Harvey früher bei Nick Cave spielte, gibt hier den Ton an. Dazu ein fundamentaler Sound-Teppich auch swingenden Hammond-Sounds und eine treibende Rhythmik. Die Sonne in diesem Bluesrock-Planetenspiel ist die soulige Stimme von Sängerin Elin Larsson, die mal an Aretha Franklin, Inga Rumpf oder Janis Joplin erinnert. So geht Rock zum Niederknien. Nuclear Blast/Warner And The Anonymous Nobody Mit Kollegenbands wie A Tribe Called Quest und den Jungle Brothers bildete De La Soul vor einem Vierteljahrhundert die sogenannte Native Tongue Family. Das war eine Bewegung innerhalb des Raps, die sich nicht mit dicken Autos, Goldkettchen und dem Gangsta-Bitch-Nonsens auseinandersetzte, sondern Themen mit sozialen Hintergründen in den Vordergrund stellte. Nun, der ganz große Wurf ist dieses Comeback- Album vielleicht nicht, dafür ist die Hit-Dichte zu gering. Aber die bedeutende Stellung innerhalb des soulig-jazzigen Hip-Hops kann ihnen keiner nehmen. Aol Records/Rough Trade Come On Unsere Welt aus Attentaten, Naturkatastrophen und Haushaltsunfällen steht nicht im Gleichgewicht. Wie schön, wenn Funny van Dannen mit seinen ironisierenden Bemerkungen wieder alles neu justiert. König Fußball attestiert er einen Hang zur „latenten Homosexualität“ und fabuliert sehr schön zusammen: „Und auf den Rängen die halb nackten Jungs, die Bengalos, der Qualm und der Rauch. Na klar, das ist kein Darkroom, aber sich nah sein kann man so auch. Das Geheimnis von Fußball ist latente Homosexualität.“ Sein 15. Album „Come on“ ist gespickt mit vielen humorigen Seitenblicken. Einfach Funny! JKP/Warner M Y J E R U S A L E M A U G U S T I N E S A N D R E A S C H R O E D E R A Little Death Nur ein bisschen Tod? Geht das? Man kann ja auch nicht nur ein bisschen schwanger sein. Das Leben gibt für die großen Themen die Grammatik vor: entweder ganz oder gar nicht. In diesem Schwarz-Weiß-Feld agieren auch die Herzen von My Jerusalem. Sie haben ein emphatisches Werk voller Schönheit zwischen Post- Punk-, Alternative- und düsterem Rock’n’Roll zusammengelötet. Aus jedem neuen Song strömt eine intensive Schamlosigkeit, die manchmal an die Flaming Stars – und manchmal an Dr. Feelgood erinnert. Das hier ist britisch geprägter Pubrock mit Drive und Düstertouch. Washington Square/Rough Trade This Is Your Life New York war schon immer der Nabel von großartiger Musik: Die Ramones, Kiss und Suicide stammen von hier, aber auch Blondie, die Beastie Boys oder Barry Manilow. Die drei Herren Billy McCarthy, Eric Sanderson und Drummer Rob Allen kommen übrigens aus Brooklyn. Die Augustines bieten einen mondänen Querschnitt innerhalb der Musikgeschichte des Big Apple. Sie vertonen emphatisch die Basiswünsche der Erdbevölkerung als lockeres „May You Keep Well“. Die dazugehörigen Songs verpacken sie in pathetischen Breitwand-Rock, der sowohl gut ins Tagesprogramm von 1Live passt als auch auf die Bühne der Royal Albert Hall. Caroline Void Andrea Schroeder serviert Katzenmusik, die perfekt zum endlosen Regenwetter passt. Hier der Swing, da der Blues und oben drüber eine verwegene Medusa-Stimme. Der Himmel ist schwarz, der Kaffee ist alle und die Straßen sind so grau wie am Tag, als der Brexit kam. Jede Sünde sucht sich den passenden Sound und wenn diese Platte ein Resonanzkörper wäre, könnte es eine schwarz angemalte Etagenheizung sein. Das Leben ist nicht immer fair, das mahnen Texte wie in „Endless Sea“ oder „Kingdom“. Trotzdem wärmt die Stimme dieser Sängerin, fast wie ein unendlicher Sonnentag im sibirischen Tiefland. Glitterhouse/Indigo 37

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