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April 2018 - coolibri Dortmund

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THEMA Reichlich Kritik

THEMA Reichlich Kritik hagelte es in den vergangenen Wochen für die Essener Tafel. Die Organisation hat Ende Februar verkündet, vorerst nur noch Kunden mit deutschem Personalausweis aufzunehmen. Der Grund: Der Anteil ausländischer Kunden sei auf 75 Prozent gestiegen, deutsche Kunden hätten sich unwohl gefühlt, es sei gedrängelt worden. Sebastian Ritscher hat bei anderen Tafeln in der Region nachgefragt: Gibt es ähnliche Probleme? Wie geht man dort damit um? Basisarbeit Wer Essen bekommt, entscheiden die Tafeln unterschiedlich. Foto: Dagmar Schwelle Wattenscheider Tafel Probleme wie in Essen kennt auch Manfred Baasner (Foto). Er ist Vorsitzender der Wattenscheider und Bochumer Tafeln, die bis zu 16 000 Menschen erreichen – mit 34 Ausgabestellen. Bis zu 70 Prozent kann der Ausländeranteil an einigen Tagen betragen, für Baasner kein Problem. „Wir haben jahrelange Erfahrung, das geht bis zur Aussiedlerwelle aus Russland.“ Zum Erfolg führt seitdem das Credo „Arbeiten, Leben und Lernen – das ist die beste Medizin für Menschen aus einem fremden Land“. Die Wattenscheider Tafel bietet Sprachkurse an und wurde anerkanntes Integrationszentrum. Für Baasner ist sie weit mehr als das: „Wir sind eine große Familie.“ Wenn es Reibereien gab, wurden aus der Reihen der Störenfriede immer einige in die Tafelarbeit eingebunden. Auch großen Andrang kennt die Wattenscheider Tafel. Deswegen bekommen Senioren ihre Ware, bevor andere Kunden kommen. Wenn es doch mal zu unruhig wird, wird zusammen gebetet: „Die Menschen applaudieren danach sogar, das hält zusammen.“ Eine Warteliste gibt es übrigens nicht, schließlich hat Baasner frühzeitig einen Fuhrpark und ein Netzwerk aus Lebensmittelhändlern und -produzenten aufgebaut. „Wenn ein Mensch kommt und Hunger hat, dann helfen wir.“ Dortmunder Tafel Die Tafel Dortmund hat derzeit 4229 Ausweise an Bedarfsgemeinschaften vergeben und erreicht damit etwa 15 000 Menschen. Wie viel Ausländer dabei sind, möchte Ansgar Wortmann (Foto) aus der Betriebsleitung ungern sagen. „Der Flüchtlingsanteil spielt für uns keine Rolle, es geht um die Bedürftigkeit – und die wird geprüft.“ Bedürftig sind etwa Hartz-IV-Empfänger oder Empfänger von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Bedürftige gibt es viel. 2016 und 2017 standen bis zu 2000 Personen auf der Warteliste für einen Ausweis. „Wir haben viele Anstrengungen unternommen, um die Warteliste zu verkürzen“, so Wortmann. Ausgeschlossen wurde niemand. Die Dortmunder Tafel hat hingegen die Zahl der kooperierenden Lebensmittelhändler und der Ehrenamtler erhöht. Natürlich gebe es auch ab und an Konflikte – die übrigens nichts mit der Nationalität zu tun hätten –, „aber deswegen haben wir Regeln“, so Wortmann. Außerdem gibt es einen Hofdienst, der den Zufluss regelt und viele Ehrenamtler mit Migrationshintergrund, „die erklären können, was die Tafel ist“. Viele Kunden würden denken, dass die Tafel ein staatliches Angebot ist. Würde man diesen Irrtum auflösen, würden sich viele anders verhalten, so Wortmann. Tafel Duisburg „Die grundsätzliche Situation, wie sie in Essen ist, ist auch uns nicht unbekannt“, sagt Günter Spikofski (Foto), Geschäftsführer der Tafel Duisburg. „Mit Gedränge hatten wir auch schon zu kämpfen.“ Doch die Tafel habe alles etwas anders organisiert. Insgesamt erreicht sie wöchentlich etwa 4500 Menschen. Der Anteil an ausländischen Kunden ist hoch – vor allem an der zentralen Ausgabestelle in Duisburg-Hochfeld. Allerdings hat die Tafel eine weitere Ausgabestelle in Marxloh und eine dritte entsteht in Meiderich. Neben mehreren Ausgabestellen gibt die Tafel ihren Kunden auch die Tage vor, an denen sie Lebensmittel bekommen – um Gedränge zu reduzieren. Auch saisonbedingte Warenknappheit ist immer wieder Thema. „Wir bemühen und dann, alles möglichst gleich zu verteilen.“ Die Nationalität spielt keine Rolle: „Hunger fühlt sich für einen Syrer nicht anders an, als für einen Deutschen.“ Generell seien weder Ausländer, noch knappe Lebensmittel das Problem. Spikofski: „Der eigentliche Skandal ist nicht, dass die Tafel Essen in einer Situation der völligen Überforderung eine falsche Entscheidung getroffen hat, sondern dass sich in 30 Jahren in der Politik nichts geändert hat und Menschen immer noch zur Tafel kommen müssen.“ 12 Gelsenkirchener Tafel In Gelsenkirchen scheint die Tafel-Welt in Ordnung zu sein. Gerade mal 2000 Ausweise sind ausgestellt und die Tafel erreicht 5000 Personen. Eine Warteliste gibt es nicht, wie Geschäftsführer Hartwig Szymiczek (Foto) erklärt. „Wir hatten auch noch nie das Problem, dass wir Kunden abweisen mussten.“ Auch Tumulte und Gedränge bei der Essensausgabe gibt es in Gelsenkirchen nicht. „Wir organisieren das auch anders als die Essener“, so Szymiczek. Die Gelsenkirchener Tafel hat 180 ehrenamtliche Helfer und fünf Ausgabestellen. Die Essensausgabe erfolgt von Montag bis Freitag. Aber die Kunden können nicht dann kommen, wenn es ihnen gerade passt. „Die Kunden bekommen schon bei der Anmeldung die Tage und Uhrzeiten mitgeteilt, zu denen sie kommen können“, sagt Szymiczek. „So haben wir nicht ganz so viele Wartende auf einmal.“ Zusätzlich setzt die Gelsenkirchener Tafel auf Platz: „Außerdem haben unsere Ausgabestellen sehr viel Raum“, so Szymiczek. Das sorgt für weniger Gedränge und Enge. Natürlich kommt es trotzdem zwischendurch zu Streitigkeiten. „Das hat aber nichts mit der Nationalität zu tun.“ Egal, wer für Streit sorgt: „Wir versuchen sofort, einzugreifen und zu schlichten.“

THEMA R U H R G E B I E T Geisterfahrrad gesichtet Weiße Fahrräder am Straßenrand, so genannte Ghost Bikes, sind in den vergangenen Monaten in Dortmund aufgetaucht. Tatsächlich ist der ursprünglich amerikanische Trend schon vor zehn Jahren zu uns nach Deutschland gekommen. Die weißen Räder stehen auch in Essen, Bochum und Mülheim. Amélie Schlachter hat nachgefragt, was es mit diesen „Geisterfahrrädern“ auf sich hat. Im November 2017 kommt ein elfjähriger Radfahrer bei einem Unfall in Dortmund ums Leben. Ein LKW erfasst ihn beim Abbiegen. Kaum drei Monate später passiert dasselbe, ebenfalls in Dortmund: Ein 63-jähriger Fahrradfahrer überlebt den Zusammenstoß mit einem LKW nicht. „Man kann froh sein, um jedes Ghost Bike, was nicht aufgestellt wird“, erklärt Jörg Brinkmann vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) in Essen. Diese sind gewissermaßen gleichzeitig Gedenkstätte und Mahnmal, denn sie stehen für einen tödlich, in der Regel unschuldig, verunglückten Fahrradfahrer. Das weiße Rad soll zum einen des Opfers gedenken und ein Erinnerungsort für Angehörige sein. „Der unschuldige Tod soll nicht nach wenigen Tagen in Vergessenheit geraten sondern sichtbar bleiben“, so Norbert Paul von der Initiative VeloCityRuhr. Zum anderen sollen die Ghost Bikes gefährliche Stellen im Straßenverkehr aufzeigen. Fahrradinitiativen wie VeloCityRuhr stellen dann mit Angehörigen ein weiß lackiertes Fahrrad an der Stelle auf, oft weißt ein kleines Schild am Rad auf den Unfall hin. In vielen Städten weltweit haben Aktivisten mittlerweile Ghost Bikes aufgestellt, auch im Ruhrgebiet. Gründe für die tödlichen Unfälle sind nicht verallgemeinerbar. Jörg Brinkmann vom ADFC sagt allerdings, dass es häufig rechts abbiegende LKW sind, die den Fahrradfahrer nicht sehen und dann einen Zusammenstoß verursachen. Es gebe natürlich unvermeidbare Unfälle, denen die Verkehrspolitik im Vorhinein nicht entgegen wirken kann. Dennoch fordert der ADFC, dass die Politik mehr für die Sicherheit sorgt. Mehr Fahrradstraßen wären da ein Anfang, meint ADFC-Vorstand Jörg Brinkmann. „Aber natürlich darf das auch keinen Ghost Bikes stehen in Dortmund an der Mallinckrodtstraße ... ... und an der Rüschebrinkstraße Nachteil für Fußgänger haben oder den Autoverkehr einschränken“, räumt er ein. Norbert Paul von VeloCityRuhr hält die aktuelle Geschwindigkeitsbegrenzung für problematisch: „Ein erster Schritt wären 30 km/h als Regelhöchstgeschwindigkeit innerorts.“ Eine effektive Reaktion zeigte zum Beispiel die Stadt Essen 2016: Nachdem eine Fahrradfahrerin am Bismarckplatz durch einen Unfall gestorben ist, hat die Stadt eine Ampel an der gefährlichen Kreuzung bauen lassen. Foto (2): VeloCityRuhr ! 25.08.2018 13

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