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Vest im Leben No 01

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I N T E R V I E W „ I

I N T E R V I E W „ I c h t r ä u m e v o n d e n K o l l e g e n “ Er sieht deutlich jünger aus als in der Rolle, die ihn berühmt machte. Der 78-jährige Wichart von Roëll, Wahl-Recklinghausener, Fernsehlegende, Grimme-Preisträger, Bühnen-und Film-Urgestein und definitiv kein sprichwörtlicher „Oppa“, sprach im Recklinghausener Café Helene mit uns über das Schöne am Leben im Vest, seine sportive und gesunde Lebensweise und natürlich auch über die wilde Zeit in der legendären Klimbim-Familie. In der Familien-Sitcom verkörperte er den anarchistischen Opa. Foto: Carsten Kobow VEST im Leben: Sie haben als junger Mann sechs Jahre lang, 1954 bis 1960, mit Handelsschiffen die Welt bereist, haben drei Jahrzehnte in Schwabing das wilde Münchner Film- und Bohèmeleben gelebt, sechs Jahre in Berlin gewohnt. Nun leben sie in Recklinghausen, hätten Sie das jemals gedacht? Wichart von Roëll: Ich hätte das nie gedacht. Früher habe ich das Ruhrgebiet wahrgenommen mit gelbem Himmel, Dreck in der Luft. Zum Glück hat sich das geändert. Heute ist alles grün, man kann viel Fahrrad fahren. Allein, dass es hier in Recklinghausen wenig Kollegen gibt, stört mich. Seit 1999 lebe ich hier mit meiner Frau, die viele Jahre Pressesprecherin der Ruhrfestspiele war. Nach einem Herzinfarkt wollte ich nicht mehr allein wohnen und gab meine Wohnung in Köln auf. Nach wie vor arbeiten Sie regelmäßig vor der Kamera und auf der Bühne? Freiberuflich, ja. Ich will einfach das Gefühl haben: Ich bin noch dabei. Entsprechend mache ich 2-3 TV-Produktionen pro Jahr. Dazu Lesungen oder auch Aktionen wie kürzlich, als ich ein Benefiz für Flüchtlinge hier in Recklinghausen mitorganisierte. Über 850 Menschen kamen in eine Kirche, um ihre Solidarität zu zeigen. Davon träumt ein Pfarrer. Über 9000 Euro wurden gespendet. 6 Die Klimbim-Familie in den 70er Jahren Foto: SWR/WDR/Harald Kratzer Sie wirken sehr fit für Ihr Alter, wie machen Sie das? Früher habe ich noch in Datteln gerudert, Einer und Zweier, dazu Kieser- Training. Doch das war irgendwann zu viel. Ich neige dazu, zu viel zu wollen. Das ist nicht gut für’s Herz, sagte mir mein Arzt. Dann entdeckte ich Yoga, das ist perfekt. Und Schwimmen, ich besuche zwei Mal pro Woche das Copa Ca Backum in Herten. Wie ist es, immer wieder in Verbindung gebracht zu werden mit ihrer Parade-Rolle, dem „Klimbim-Opa“ in der legendären Comedy-Serie von Michael Pfleghar in den 70er Jahren? Das ist nicht schlimm, darauf kann man stolz sein. Ich habe dabei absolu-

I N T E R V I E W te Weltstars getroffen und mit ihnen gearbeitet. Jerry Lewis war in der ersten Folge dabei. Der hat sehr hart gearbeitet. Vor allem damit er schneller weg konnte, weil er die Stadt nicht leiden konnte. Auch Curd Jürgens und Harald Juhnke waren da, die hatten sich aber zunächst gut angeschaut, was wir so machen. Aber wir hatten natürlich tolle Einschaltquoten. Aufgehört haben wir, als es am schönsten war. Das ist wichtig. Inzwischen leben die meisten Kollegen leider nicht mehr, übrig sind eigentlich nur noch Ingrid Steeger und ich. Manchmal träume ich von den Kollegen, das liegt wohl an meinem auch fortgeschrittenen Alter. War das alles so wild und anarchistisch wie es aussah? Ja, auf jeden Fall. Die 68er-Zeiten waren noch nicht lang vorbei, ich habe in einer WG gewohnt, wir wollten zum Film und haben uns so benommen, wir interpretierten Mao-Gedichte, tranken nächtelang Rotwein und rauchten mal ein Zigarettchen. Gekifft wurde damals auch am Set von Klimbim vor der Aufzeichnung. Heute wird sowas ja in den USA als Schmerzmittel wiederentdeckt und legalisiert. Es gibt wesentlich schlimmere Drogen. Was war denn noch besonders erinnerungswürdig? Für die letzten Folgen fuhren wir alle runter zur Côte d’Azur. Der WDR war mit einem Ü-Wagen dabei, 52 Mitarbeiter. Pfleghar achtete darauf, dass das Filmfestival in Cannes gleichzeitig lief. Dann aßen wir alle zusammen an der berühmten Croissette. Spaß und Arbeitsdruck hielten sich da immer die Waage. Haben sie Pläne? Ich habe ein Drehbuch geschrieben für einen Kurzfilm. Er dreht sich um Einsamkeit. Nicht nur im Alter, auch bei jungen Leuten, die nur noch mit dem Computer zu tun haben und in den Großstädten niemanden mehr kennen. Wir danken Ihnen für das Gespräch. Wie kam es zu Ihrer Paraderolle? Tatsächlich war das ein seltener Fall, dass sich ein Schauspieler etwas im Leben abgucken konnte. Mein Vater traf nach dem Krieg immer wieder alte Generäle, oft Karikaturen ihrer selbst. Monokel im Auge und vom Sektempfang im Casino schwadronierend. Die habe ich zum Vorbild genommen. Zur Kenntlichkeit entstellt, sagt man doch. Ja, es schlug sofort ein. Schon bei der Aufnahme hörte ich immer ein störendes Kichern und Lachen. Nach dem Ende brach das richtig los und Pfleghar fragte mich: Wo hast Du das denn her? Wichart von Roëll am Rathaus seiner Wahlheimat Recklinghausen Foto: Carsten Kobow

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