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September 2018 - coolibri Essen

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MUSIK V ON HIER

MUSIK V ON HIER PrezidentinAktion Nihilismus 2.0 DieMusik von„Prezident“ galtmit VerweisenzuDante und Kafkaals „Akademikerrap“. Nunliefertermit seinem neuenAlbum einenprovokanten Gesellschaftsumriss. Vorder VeröffentlichungEndeJulihagelteesKritik. Begründet? NikolasBeitelsmann traf denKünstlerViktorBertermann in seiner HeimatstadtWuppertal. „Duhastmichschon verstanden“heißt dein neuesAlbum.Wurdest du bishernicht richtigverstanden? Nein, aber machtnichts. Kunstsolloffen sein undich glaube, dass es dabeinicht daseinzigwahre Verstehengibt. Du kannst es komplett missverstehen.EinigeInterpretationensindbesser,einigeschlechter. EinAlbum istkeinpolitisches Programm oder eine wissenschaftlicheArbeit. DasCover –weißerKreis mitschwarzem Symbolauf rotemHintergrund - erinnert an dieSymbolik derNazis.BewussteProvokation oder PR? Das umgedrehteFragezeichenist einIroniezeichen: Im 19.Jhd.vorgeschlagen,aberkaumbekannt. Dies kombiniereich mitder Ästhetik totalitärer Massenbewegungen. In derKombinationergibtdas so eine Arttotales„Ichweißauch nichtweiter“.Ein plakativer Witz. Du verwendest das Wort „Gutmensch“. Darüber haben sich einige empört. Verständlich? Ja,das Albumsollprovozieren. Aber icherachteden Begriff „Gutmensch“ alsdurchaussinnvoll: DieZeitenwerdenkomplizierter unddadurch die Möglichkeiten,das Gute zu wollen,aberletzlichBöses zu schaffen,vielfältiger. Undauch dasMomentder Prätention unddassLeute mehr versuchen,gut zu scheinen alsGutes tun, scheintmir gut zu bestimmtenaktuellengesellschaftlichen Phänomenenzupassen. In einemanderen Song geht es um den„richtigguten Mensch“. Kannst du diesen in eine konkretepolitischeEckeeinordnen ? Es istnicht in erster Liniepolitisch gemeint. DerTrack,den du ansprichst, stellt eine ArtTypensatire dar, also es wirdsichüberzweibestimmteCharakterelustiggemacht.Ich beschreibe alsden „richtigguten Menschen“ einenübertriebenen Zeloten, deraus Idealismuszum Arschlochwird. Aber obwohl dasnicht primär ist: EinsolcherZelot kann im Jahr 2018 in Deutschlandeigentlich nurlinks sein.Religiöse undKonservativezumindest hierzulandeentwickelndiesenEifer heutzutagegar nichtmehr. Prezident:„Du hast mich schonverstanden“, VÖ: 20.7.2018, Whiskeyrap; whiskeyrap.de 48 Foto: Vivien Schulte TazChernill „Amorfin“ „How canwecry if we don‘t have tears“– einneuerAnwärterauf denAwardfür den schönstenerstenSatzineinem Song.Das dazugehörige Lied befindetsich, wienoch drei andere,auf derEPder Kölner Band Taz Chernill.Strahlender,schimmernderund aufregenderMittelpunktder Formation: FrontfrauTaya Chernyshova. Diegebürtige Russin versteht es,Tradition undModerne miteinanderzuverweben, sodass keineLücken entstehen. Malklingt es wieder Soundtrack zu einemalten Märchenfilm,imnächstenMomentdominieren schrägeSounds undElektro-Beats.Bezaubernd undimgenau richtigenMaßemelancholisch sind dievierkleinen Meisterwerke dieidealeBegleitmusik für den(hoffentlich bald mitetwas Kühle)herannahendenHerbst! VÖ 15.5., Masterskaya Foto: Taya Chernyshova Horst Hansen Trio „Auf‘m Teppich“ Heftiger Überjazz -die Wortwahl,die dieKrefelder Combowählt, um ihre Musikzubeschreiben, wirktauf denerstenBlick gaaaanz vielleicht einbisschenabgehoben.Natürlich kommt manschnell darauf,dassdieserTitel mitvielAugenzwinkern gewähltist.Ganzim Gegenteilzur dargebotenen Musik. Diewird ernstgenommenund gemeint! Zwölf Songszählt dasDebüt-Album der fünf Herren, dieaus derJazz-typischen BesetzungPiano, Drums, Bass,Gitarre undSaxophon alles rausholen. UndSongtitel wie„Josefhat dieRuhe weg“ oder „Jazzerella“ bringentrotzdemdie augenzwinkernde Leichtigkeit wieder zurück.Dringende Empfehlung! VÖ:26.5., Quasilectric Foto: Inga Lankenau BalkonienGang„Weirdos“ Passendzur Jahres-und Ferienzeit hatdie Rapcrew,benanntnachdem erschwinglichstenUrlaubsziel, ihre Debüt-Platte rausgehauen.Die Düsseldorfer/Essener /Kölner Kollaboration rapptüberdas Leben–großeGefühle findensichneben asozialerCorner-Romantik,Songs über ausschweifende Partynächte ziehen dasfastschon melancholischeAm-Morgen-Danach-Gefühl hinter sich her. Weirdossinddie Boys bestimmt,aberimbestenSinne! Das ProduzententeamBenji &Moss stehtfür ausgefeiltenSound,der sich auch aufdiesemWerkwiederfindenlässt.PerfekterSpätsommer-Soundtrackfür Nächteauf –Balkonien! VÖ:26.5., DirtySouth Foto: Anotherwayrico/Simon Basler/Blin Don AngryYouth Elite„Ready! Set! No!“ Jugendlich ist, wersichsofühlt.Soist es völliginOrdnung,dasssichhinterdem Bandnamennicht dreirebellischeTeenies,sondern HerrenimbestenAlter verbergen. Undzurebellieren gibtestrotzdemgenug:Gesellschaftlicher Verfall, allgemeine Oberflächlichkeiten.Und so holendie Familienväter den Skatepunk nach2018. Exakt 25 Minutenbrauchensie dafür –aberdie hauenrein. „Anger turnstohate“ –thematisch passtdiesesAlbum vielleicht momentan nichtindie ausgelasseneSommerstimmung, istaber zumDie-Sau-Rauslassen am Badeseetrotzdembestens geeignet. VÖ:25.5., Sportklub RotterDamm /Indigo Foto: Thorsten Syha /Angry Youth Elite.

ALBEN S P I R I T U A L I Z E D A L I C E I N C H A I N S A L T - J And Nothing Hurt JasonPierceist derKopfdieserBand–under kokettiert malwiedermit demGospel, der Sehnsuchtund demÄlterwerden.Dennoch siehterseine morbiden Hintergründe immer wieder im Rückspiegel. Cleanist er schon lange,heute experimentierterwildund hochgeistigmit demStilmittel Musikherum.Diese Sound-Überdosisstrahlt aus jederPoremit Glückseligkeitund Melancholie.Vom ersten Song bishin zum MorsecodeamEndevon „Sail on Through“ istdas hier eine dynamische Soundreise mitvielGlanz undnochmehrGloria: malhypnotisch, malpsychedelisch und malsowarm wiedie Sonne. PIAS/Rough Trade Rainier Fog SeattleCalling! Nirvanaund Soundgardenhabenlängstdas Zeitlichegesegnetund Bands wiePearl Jamgehören schon langezum Establishmentdes Rock.Alice In Chainsgehen ihren eigenen Weg: Mitdiesemzeitlosen Hardrock- Soundsteht dieBandbereits miteinem Bein im ClassicRock. Und in Sachen Sound, Vision und Intensität derSongs istdas aufdieserPlatte wirklichabsolut überzeugend. Hier wirdwieder dieEntdeckungder Langsamkeitzelebriertund zwischendurch scheppertesmächtig.Sie schauenmit stolzemHauptnachvornund präsentierenein ganz starkesAlterswerk–formidable! BMG/WarnerMusic Reduxer Das Trio aus Leedsist gerneauf eigenen Pfaden unterwegs. MitdiesemLongplayer kommen sie miteiner Hip-Hop-Version ihresletztenStudioalbums „Relaxer“umdie Ecke.Dabei istein musikalisches Relief derganzbesonderenSorte herausgekommen. So entsteht 25 Jahre nach dem legendären„JudgementNight“-Sampler eine nichtzutoppendeAllianzaus Indie-Rock-Gitarrenund groovigen Beats. Künstler wieDanny Brown, GoldLink oder Twin Shadow verpassen mitvielLiebe zum Detail denursprünglichen Songsein neuesGesicht.Sogar derBerliner Rapper Kontra K. istals Remixer mitanBord, cooleSache! PIAS/Rough Trade A L L I G A T O A H E V E R L A S T A N I M A L C O L L E C T I V E Schlaftabletten, Rotwein V LukasStrobel istder Mann hinterAlligatoah – underschlüpftwiederindie prächtigsten Rollen. Er präsentierteineSzenerie, biseineinnere Stimmeruft: „Wasist,wennwir garnicht real sind,sondern nurdie verschiedenenPersönlichkeiteneines Wahnsinnigen?“ Dieser Rapper zeigtseinWeltwackelbild. Hektischrennenalle aufdem sinkendenSchiffherum,statt sich zu fragen: „Wie kann es in einerglobalisierten Welt Gerechtigkeitgeben?“ MesutÖzilverdientineinerStunde so viel wieein Callcenter-Agent in drei Monaten. MitEmpathieund Rapbringt Alligatoah dasgroße Wirrwarr sehr gut aufden Punkt. Whitey Ford’s House Of Pain Everlastwurde aufLongIslandgeboren undzog mitseinemdeutsch-irisch-stämmigenVater, derBauarbeiterwar,als Baby insSan Fernando Valley beiLos Angeles. Wiejedes vorstädtische weiße Kind, wuchserzunächstmit denHeavy Metal-HeldenLed Zepplin undKISSauf,bevor er Crossover-Bands wieRun DMC entdeckte. Heute als geläuterterfast50-Jährigerkommt sein neuesAlbum rüberwie eine Lebensbeichte: Er addiert Countrymit Trip-Hop,ist malinteuflischerStimmungund rapptsichmal denMidlife-Bluesvon derSeele.Einerundumgelungene Standortbestimmungist dashier. Tangerine Reef In Zusammenarbeitmit einemMeeresbiologen istdiesesAlbum entstanden. Diedaraufenthaltenen, komplexenMomentaufnahmenfühlen sich an wieein Mixaus Zeitraffer,Landschaften, Klangwirrwarr undMinimal Music. Mitihren vielschichtigen, improvisierten Soundcollagengreifensie Ideeneines SydBarrett auf–undtransportierensie in dieModerne.Vor demgeistigen Auge schweben dazu surreale Wasserlandschaften.Mit diesem 11.Studioalbum zeigtdas NewYorkerKollektiv,dasseseineSonderstellungeinnimmt.SelbstNeptunwürde für diesen Klangkosmosseine Kroneopfern. Trailerpark/GrooveAttack Long Branch Records/SPV Domino Records/Goodtogo 49

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