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September 2018 - coolibri Düsseldorf

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INTERVIEW U N I V E R S

INTERVIEW U N I V E R S I T Ä T / N R W - F O R U M Auf dem Iocose:ACrowdedApocalypse Troll- Spielplatz Foto: NRW-Forum Nicht wenigerals „Die großeWeltverschwörung“behandelt dieAusstellung„Im Zweifelfür denZweifel“abSeptember im NRW-Forum. Grund genug, beieinem Expertennachzufragen, wieesumdie Demokratie und dieOnline-Kommunikation bestellt ist. Warum noch nichtalles verloren ist,hat Jun.-Prof. Dr.MarcZiegele im Interviewmit Nadine Benekeverraten. Siesindseit2018Junior-Professorfür politische Online-Kommunikation in Düsseldorfund Teil derFörderlinie„Digitale Gesellschaft“. Letztere hat dasZiel, dieDemokratiezustärken undzusichern. Wieist es denn aktuellumdie Demokratiebestellt? DieDemokratiesteht voreinigenZerreißproben. Nichtnur durch denAufwärtstrendpopulistischerBewegungen, sondernauch dadurch, dass wir in Zeiten großer Unsicherheitleben,indenen ehemals geglaubte Sicherheiten verlorengehen.Indenen sich eine Atomkatastrophe in Fukushima hier in derEnergiewende niederschlagen kann.Das macht es verführerisch, Parteien entgegenzulaufen, dieversprechen,dassalles wieder zurück zur altenSicherheitkommt.Das wirdnicht passieren. Aber aufdiese Fragen findenParteienmomentannur schwierigAntworten.Die Leutesind meinem Gefühlnachauf derSuche nach neuenIdentifizierungsmöglichkeiten.Manche findensie in Ersatzreligionen wieErnährungoderiPhone. Andere in politischenExtremen. WiebeurteilenSie dieDiskussionskulturimInternet? Wenigerkatastrophalals gemeinhin dargestellt. Sowohl im Mediendiskurs als auch wenn mananekdotisch Kommentare durchliest, neigtman dazu, anzunehmen,dassalles nuraus Hass undPöbeleien besteht. Aber wenn mansichden Zustandder Diskussionenanguckt –und dasmachenwir insbesondere mitInhaltsanalysen,bei denenwir unseinegroße Zahl von Kommentarenvornehmen unddie nach verschiedenenKategorienauswerten –sieht man, dass es im Schnitt garnicht so schlimm ist. 6 Wasbedeutetdas konkret? Wirhaben uns2015insgesamt 11 000 Kommentare aufzehnverschiedenenFacebook-Nachrichtenseitenangeguckt.Dabei haben wir herausgefunden, dass in immerhin50Prozent derKommentare Argumente verwendetwerden, in mehr als einemDrittel werden sogarneue Perspektiven aufden Sachverhaltgeboten,der diskutiert wird. Undesgab durchaus mal Humor. Das istauf derpositiven Seite. Aufder negativenSeite haben wir gesehen, dass jederdritteKommentar sogenannte Inzivilität enthält. Washat es damitauf sich? Inzivilität istinder Wissenschaft derbreitereBegriffdafür,worunterauch Hass fällt. Aber nichtals einziges.Hassist ja einsehreingeengtesBlickfeld aufdas Ganze. Unter Inzivilitätfallen dieVerwendung vonStereotypen, Beleidigung, Rassismus,Extremismus. Diegehen nichtzwingend immergleichmit Hasseinher,sindaberdurchausFormender demokratiegefährdenden Kommunikation. Manweißauch nicht, waspassieren würde, wenn dieMedienalles durchlassen würden. Siemoderierenund löschen ja zumTeil. Werkommentierteigentlich mitund warum? Es gibtmehrere Typen, diewir kategorisiert haben.Das eine sind Selbstdarsteller,die denKommentarbereich als Egobühne sehen, aufder sieihre Kompetenzoderihr Wissen,wennauch nurvermutet, darstellen können. Dann gibtesden –imweitesten Sinne–Wutbürger. DieseLeute sind

INTERVIEW auch wenigauf Diskussionenausgerichtet. Siemüssenden Kommentar schreiben,umsichbesser zu fühlen. Es gibt Menschen, dienutzendie Kommentarspalten tatsächlich als Diskussionsforum, um ihre Meinung zu validieren oder weiterzuentwickeln.Aberauch,weilsie am Austausch mitandereninteressiertsind. Unddann gibtesnochMenschen, die kleinste Gruppe vielleicht,die an sozialer Integrationinteressiertsind. Leutekennenzulernen, mitdenen mansichaustauschenkann.Die Trolle gibtesnatürlich auch.Aberhiergehtman eigentlich auch voneiner sehr kleinenGruppeaus,die viel Lärm macht.Das istjetzt losgelöstvom Politischen. Aber klar,auch da siehtman Gruppen. Wirhaben dieReconquista Germanica zumBeispiel.Das istdie Bewegungvon Rechts,die sich vorgenommen hat, Diskussionenzuunterminieren undbestimmteMeinungen durchzudrücken. Reconquista Internet wardie satirischeGegenbewegung vonJan Böhmermann.#ichbinhier istdie größteBewegungmomentan. Undnatürlich gibtesauch innerhalb derParteienGruppen,die in dieKommentarbereichegehen undihre Sachen artikulieren. WiebeurteilenSie Gegenbewegungenwie #ichbinhier? Wirhaben eine Kooperation mit#ichbinhier gemacht,die werten wir gerade aus.#ichbinhier istmit über 40 000 Mitgliedern nichtgeradeklein undder Gründerwurde kürzlich mitdem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.Das Vorhabenist ehrenwert. Ganz aufrichtig istesinsofernnicht,als dass organisierteGruppenaktivitäten dahinterstehen. Auch bei#ichbinhier verlinken dieMitglieder sich in ihrenKommentaren. Sieliken diesegegenseitighoch, damitsie prominenterinder Diskussionerscheinen. Füreinen guten Zweck, aber es istnatürlich trotzdemeineBeeinflussungder Diskussion. Es gibt auch Leute, diesehrempfindlich aufdie Gruppe reagierenund denHashtag verunglimpfen,#ichwillbieroderdergleichen. Marc Ziegelevon derHeinrich-Heine-Universität Düsseldorferforscht dieKommentarspalten basierend aufKommunikationstheorienvon JürgenHabermas. Wiesoist geradeFacebook so betroffen vonHass-Kommentaren? Witzigerweisehaben wir 2015 die Präsenzenvon Nachrichtenseiten aufFacebookund dieWebsites selbst aufihreKommentare hin untersucht. Es kamheraus,dass aufFacebookweniger rumgepöbelt wirdals in denKommentarspaltender Websites.Auch ich wäre davonausgegangen, dass dortmehrInzivilitätzufindenist. Damals war dasnicht derFall.Esgibtmehrere Gründe,warum Facebook inzivileKommentare erleichtert. Manist nureinen Clickdavon entfernt, seineMeinung rauszuposaunen.Auf anderenSeitenmussman sich erst registrieren. Da istdie Emotionvielleichtschon abgeklungen. BeiFacebook kann manalles raushauen. Manist in seiner Filter Bubble.Das macht es leichter zu glauben, dass manmit seiner Meinunginder Mehrheitist. Es istvielleichtauch leichter,andereanzugreifen.Duhasteinen komischenNamen,dumagst dieCDU –all das, wasman über dasProfilrausfindet, kann manbenutzen,umjemandenanzugreifen.Auf Facebooktrifft dieganze Breiteder Gesellschaftaufeinander.Daist eine ArtKlassenkampfvorprogrammiert. Foto: Marc Ziegele WelcheRolle spielen Verschwörungstheorieninder Online-Kommunikation? In denKommentarspaltenist eine Verschwörungstheorie sehr populär– dieder Lügenpresse. Siebesagt, dass einKonvolut vonMedienund Regierung zusammenarbeiten, um dieBevölkerung systematisch zu beeinflussen. Wirführenjährlich Befragungendazudurch,wie vieleMenschenglauben, dass bestimmteVerschwörungstheorienwahr sind.Dazu gehören auch Chemtrails unddie Mondlandung.Teilweise miterschreckendenErgebnissen. 17 bis18Prozent derDeutschen glauben tatsächlich,dass Flugzeugemit Chemikalien ausgestattetsindund dieBevölkerung mithilfe vonChemtrails steuern wollen.Das istinteressant,aberauch einbisschen traurig. Verschwörungstheorien sind eine logischeKonsequenz aus derUnsicherheitinder Gesellschaft,weilsie einfache Wahrheiten versprechen.Esgibtimmer eine kleine Elite,die sich gegendas einfache Volk verschworen hatund es mitunlauterenMitteln steuernwill.Das istdie Wahrheit,andie mansichklammernkann.Ist auch nichtweitentferntvon populistischenNarrativen.Auch diesinddurch Anti-Elitismus undVolkszentrierunggekennzeichnet.Insofernpasst dasganzgut zusammen. WiebeurteilenSie die aktuelle Vorgehensweise derMedien? DieMedientragenmeinerMeinung nach eine mehrfacheVerantwortung. Siesindzum einenBrandstifter,durch dieArt undWeise,wie Nachrichtenaufbereitet werden.Das mussman leider sagen.Der Fokus liegtauf Negativität,Kontroverseund Skandale.Das sind Dinge,die Menschenaufregen unddie instrumentelleingesetzt werden,um Klicksund Trafficzugenerieren. Biszueinem gewissenGradsorgenMediendafür,dass Menschen sich nichtdifferenziert miteinem Themaauseinandersetzen, sondern sich empören. Dann geht es ab in denKommentarbereichen.Zum anderenhaben dieMedienauch dieVerantwortung, dasGanze zu moderieren.Dazu gehörtnicht nur, Wortfilterzuerstellen,durch dieKommentare mitbestimmten Worten nichtmehrpubliziertwerden, sondernauch,Präsenzin denKommentarspalten zu zeigen.Dassdie Medien zeigen: Wir beantwortenFragen, nehmen euchernst undnehmeneuch eure Unsicherheit. Wenn ihrgesittetmit unsreden wollt, sind wir da.Aktiv reinzugehenund zu zeigen,dasssie an denDiskussioneninteressiertsind. Aber eben auch in eine bestimmteRichtung. Das findetmomentanwenig statt,deshalb sind dieKommentarspalten auch so einTroll-Spielplatz.Weildie Leutesich nichternstgenommen fühlen. Manche Medien versuchen daszwar, die Welt war da Vorreiter,aberdas wirdnochnicht konsequent durchgesetzt. „Auf Facebook trifft die ganzeBreiteder Gesellschaft aufeinander. Da isteineArt Klassenkampf vorprogrammiert.“ Wiekönntegenerelleinebessere Online-Kommunikationskulturgelingen? Manwirdden Hass nichtganzwegkriegen, deshalb würde einbisschen Gelassenheit demgegenüber schon einmal guttun. Inzivilität hatesinder Gesellschaftimmer gegeben. Im Internetkommt siefür allesichtbardaherund istvielleichtauch dadurchmehrgeworden,dassMenschenaufeinandertreffen,die sich aufder Straße niemals miteinanderunterhalten hätten. Unterschiedlicher Herkunft,mit unterschiedlicherBildung.Sowas wieAnonymität kann dasGanze nochbefeuern,auch wenn ichnicht sagenwürde,dassder Hass aufgrundder Anonymität entsteht.Das istin derRegelnicht so.Man entwickelt sich online nichtplötzlichzueinem völliganderen Menschen.Weniger Fokusder Medien aufdie schlechten Kommentare,sondern auch malpositiveBeispielehervorzuheben wäre eine Maßnahme. Klar,rigoros gegengesetzeswidrige Kommentare vorgehen. Ichbin kein Freund vomNetzwerkdurchsetzungsgesetz, aber derAnsatz, dass bestimmteKommentare einfachnicht existieren dürfen,weilsie die Menschenwürde oder andere Grundrechte verletzen, istunstrittig. Sonst könntenwir auch jede Straftat im echten Lebentolerieren. Wenn manetwasdagegentun will,kannsichjeder einzelne durch Eingreifen beteiligen. Seiesdadurch,Kommentare zu melden,die strafrechtlich relevanterscheinen,sei es durch Intervention.Oderdadurch,sichineinerGruppezu beteiligen, diesichfür bessereKommunikation im Internet einsetzt. Im Zweifel fürden Zweifel:21.9.-18.11.NRW-Forum, Düsseldorf 7

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