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Ruhrgebeef - Vol 1

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GROSSER SPORT AUF DEM

GROSSER SPORT AUF DEM TELLER Ob sie Interesse an einem Kochkurs haben, der sich mit Tauben beschäftigt? Die Hausfrauen an einer Volkshochschule im mittleren Ruhrgebiet verziehen den Mund, als ihnen diese Frage gestellt wird. Nein, ist die Meinung unisono, so etwas essen wir nicht. Nur eine der Damen erinnert sich: „Früher, da gab es schon mal Taubensuppe. Aber heute – nein danke.“ Ja, früher, da war die Taubenzucht im Ruhrgebiet weit verbreitet. Mancher Kumpel, der in Rente ging, verbrachte seinen Lebensabend als Taubenvatter im Schlag unterm Dachgebälk seines Arbeiterhauses, um die Rennpferde des kleinen Mannes zu züchten und zu pflegen. Was heute seltener zu sehen ist, war damals alltäglich. Schwärme von Brieftauben verdunkelten auf ihren Trainingsflügen den Himmel über der Ruhr mit den Schloten der Industrie um die Wette und die internationalen Wettbewerbe waren so populär wie Fußballmeisterschafts-Spiele oder Sechs-Tage-Rennen. Und das sind sie in einschlägigen Kreisen immer noch, denn ausgestorben ist der Brieftaubensport im Ruhrgebiet ganz und gar nicht. Der Ursprung dieses Bergmannshobbys liegt in Belgien. Die Stadt Lüttich war Mitte des 19. Jahrhunderts das weltweite Zentrum der modernen Taubenzucht. Über das nahe Bergbaugebiet um Aachen gelangte der Taubensport dann ins Ruhrgebiet. Seit dem Altertum war die Brieftaube für Eroberung und Verwaltung der historischen Riesenreiche das wichtigste Kommunikationsmittel, noch im Ersten und Zweiten Weltkrieg wurden die Tiere als lebende Drohnen eingesetzt. Doch seit der Erfindung der Telegraphie Mitte des 19. Jahrhunderts nahm ihre Bedeutung immer mehr ab, und so wurde die Brieftaubenzucht schließlich zum Freizeitspaß. Obwohl Tauben seit jeher zu den Delikatessen gehören, ist das mit dem Essen der Brieftauben bei den Kumpels so eine Sache. Nicht, dass sie es nicht übers Herz bringen, ihre Lieblinge zu schlachten, das tun sie mit ihren Kaninchen schließlich auch. Doch die Muskeln der Athleten der Lüfte sind durch das ständige Langstreckenfliegen zäh wie Leder, so dass die Tiere zum Braten kaum geeignet sind. So kommt auch bei Taubenzüchtern der Taubenbraten nur selten auf den Tisch, geschweige denn bei anderen Leuten. Aber die Taubenbrühe oder –suppe gilt als vorzüglich. Heute kommt auch noch der hygienisch schlechte Ruf der verwilderten Haustaubenschwärme in den Städten dazu, und so hat sich die Taube als Sonntagsessen in normalen Haushalten nicht durchgesetzt. „Obwohl wir Tauben durchaus vorrätig haben, ist der Umsatz marginal“, bestätigt diesen Trend Christoph Wlotzky vom Frischeparadies in Essen, einer der exklusivsten Lebensmittel-Einkaufsmöglichkeiten für Endverbraucher im Revier. Auch der Geflügelhändler Felix Bontrup aus Lüdinghausen, der mit seinen Wagen auf den Bochumer Wochenmärkten steht, stimmt zu. „Der Umsatz an Tauben ist so gering, dass es sie bei uns nur auf Bestellung gibt.“ Herkunftsland der Brattauben, die die Händler im Angebot haben, ist das Ge- 90 RUHRGEBEEF

nießerland Frankreich, wo spätestens seit den Gelagen der absolutistischen Herrscher das Motto „Je kleiner der Vogel, desto größer der Genuss“ gilt. In Deutschland gibt es kaum eine nennenswerte Zucht für den Verzehr. Eine industrielle Massenzucht ist schwierig, denn Tauben sind monogam und bilden Paare, die ein Leben lang zusammenbleiben. Zwar können sie bis zu acht Mal im Jahr legen, doch produzieren sie pro Gelege nur ein bis zwei Eier. Zudem ernähren sie ihre Jungen mit der im Kropf produzierten sog. Taubenmilch. Sinnigerweise war es ein Züchter namens Hubbel aus dem Rinderland Texas, dessen nach ihm benannte Rasse in verschiedenen Ausformungen heute den Markt dominiert. Um die 10 Euro kostet eine etwa 400 Gramm schwere Taube im Handel. Ausgelöste Teile sind noch teurer. „Wenn jemand 60 Euro für ein Kilogramm Fleisch anlegen will, dann tut er das für bestes dry aged Rinderfilet und nicht für Taubenbrüstchen“, meint Christoph Wlotzky. So findet man Taubengerichte in der Regel in den Gourmetrestaurants. „Wir haben im Herbst bestimmt zwei Mal Taube auf der Karte“, sagt Eric Werner, Küchenchef des Essener Zwei-Sterne-Restaurants Résidence. Vom kräftigen Geschmack des rotfleischigen Geflügels ist er begeistert. „Zu Taube würde ich durchaus Rotwein trinken“, sagt er, während er zu Maispularde oder Stubenküken eher Chardonnay und Riesling empfehlen würde. In der Résidence verarbeitet Eric Werner nur ganze Tauben. Sie sind etouffiert, dass heißt sie werden im betäubten Zustand durch Strangulation geschlachtet. Dabei bleibt der Kopf am Tier und der Körper unverletzt, so dass er nicht ausblutet und sich das Blut in der Brust sammeln kann. So bleibt das Fleisch beim Zubereiten zart und saftig. Zur Zeit ist die Sous-Vide-Zubereitung von Geflügel bei 65 Grad im Vakuumbeutel en vogue, doch Eric Werner schwört auf das klassische Braten des Fleisches an der Karkasse. Dafür wird vor dem Garen nur die Brust ausgelöst, die nur fünf bis sieben Minuten braucht, um rosa zu werden. Die Schenkel und der Rest werden am Knochen in einer halben Stunde gar gebraten. Erst dann werden sie ausgelöst. „Man kann dann die Karkasse noch in einer Spätzlepresse ausdrücken und den Saft für die Sauce verwenden.“ Eines von Eric Werners Taubengerichten ist ein Mille Feuille von Taube, Poularde und Gänseleber, bei dem er die Geflügel mit Trüffeln und Steinchampignons zu einem feinen Strudel verarbeitet. „Dabei kommt es mir darauf an, die unterschiedlichen Geschmacksrichtungen der Taube und der Poularde herauszuarbeiten“, erklärt er. „Verbindendes Element ist dann die Gänseleber.“ Eingeschlagen in Strudelteig, aromatisiert mit Trüffel, ergibt sich daraus ein im wahrsten Sinn des Wortes vielschichtiges Geschmackserlebnis. Ob die Damen im Kochkurs an der Volkshochschule an diesem Gericht ihre Freude gehabt hätten? Ihren Mund hätten sie bestimmt nicht verzogen - es sei denn, das Wasser wäre ihnen darin zusammengelaufen. RUHRGEBEEF 91

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