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Oktober 2017 - coolibri Düsseldorf und Wuppertal

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THEMA D Ü S S E L D O R

THEMA D Ü S S E L D O R F / K Ö L N Pdot Dunkelbunt Die Stadt ist bunt. Bunter als vor 40 Jahren jedenfalls. Damals malte Klaus Klinger das erste Wandbild in Düsseldorf. Hinzugekommen sind Graffiti, Sticker, Paste-ups, Seedbombs und weitere Stadtbildveränderer. Warum es gerade für die Street Art-Akteure dabei nicht nur angenehme Seiten gibt und wie sie damit umgehen, haben Pdot, seiLeise und Ich bin ARTig Nadine Beneke erzählt. 8 Pdot: „Human Plotter“ Mehrere Tausende von Geistern hat Pdot bereits in NRW und Berlin verteilt. Sein Motiv verändert er dabei nicht. Warum auch? Unpolitisch und bunt zaubern die Figuren, zumeist an Rückwänden von Schildern, den meisten Vorbeigehenden ein Lächeln aufs Gesicht. Nicht allen. Aber dieses Risiko nimmt der Mann, der anonym bleiben will, in Kauf. „Man muss sich bewusst sein, dass es auch mal schiefgehen kann“, sagt er. Das mache natürlich auch ein wenig den Reiz aus. Der Zauber des Verbotenen umwittert die Szene. Vor den Ordnungshütern wegzurennen. Im Verborgenen zu agieren. Der Kölner Rechtsanwalt Jan Weber, der viele Künstler vertritt, ist davon überzeugt, dass es sich beim Stickern nicht um eine Straftat handelt: „Das Erscheinungsbild wird nur vorübergehend verändert, insbesondere, wenn PVC-Aufkleber verwendet werden. Die sind leicht zu entfernen“, so Weber. Der Straftatbestand der Sachbeschädigung – in Form einer dauerhaften Veränderung von Fremdeigentum – wäre nach dieser Argumentation hinfällig. Ärger hatte Pdot trotzdem schon reichlich. Darüber möchte er aber lieber nichts Näheres erzählen, „um das Ganze nicht anzuheizen.“ Hierzulande, bemerkt er, ginge es ja noch gesittet zu. „In den Neunzigern war es „Man muss sich bewusst sein, dass es auch mal schiefgehen kann“ oftmals verpönt, Sprühdosen zu kaufen“, erzählt der Geistermann. Mitgehen lassen lautete die Devise. Das Sprühen hat Pdot, wie viele seiner Street Art-Kollegen, vor Jahren hinter sich gelassen. Zu heikel. Zu groß die Gefahr, erwischt zu werden. Los ging es bei ihm in der Schulzeit mit Postaufklebern, die er bemalte. Seit über sieben Jahren ist er nun in der Street Art-Szene aktiv. Seine Geister schneidet er immer per Hand. Generell sei er eher der analoge Typ, sagt der Man um die 30 – ein „Human Plotter“. Dass ihm seine Kunst nicht nur Freunde beschert, daraus macht er keinen Hehl. Pdot berichtet: „Ich erfahre aus der Graffiti-Szene auch Inakzeptanz.“ Nicht selten werden Geister übersprüht oder abgerissen. Seine Konsequenz: „Wird einer kaputtgemacht, klebe ich zwei Neue hin.“ Wichtig ist ihm vor allem die bewusste Veränderung der Öffentlichkeit. „Du kannst auch hingehen und überall Petersilie

THEMA Fotos: Nadine beneke, seiLeise Ich bin ARTig seiLeise pflanzen“, sagt er. Für ihn zählt außerdem der Entstehungsprozess. Ganze Nächte bastelt er durch – „fast schon manisch.“ Pdot produziert vor, um draußen „auszuflippen“. Diese vermeintlich saubere und ungefährliche Art der Straßenkunst wird von den Sprayern belächelt. Der Geistermann erklärt die verhärteten Fronten folgendermaßen: „Der Zeitaufwand beim Malen ist größer. Und damit auch die Gefahr, erwischt zu werden.“ Innerhalb der Street Art-Szene sei die Stimmung aber entspannt: „Es ist im Großen und Ganzen so, dass alle an einem Strang ziehen.“ seiLeise: Bilder im Kopf Für die Interessen der Szene setzt sich auch Pdots Kölner Kollege seiLeise alias Tim Ossege ein. Der Reverse Graffiti- und Paste-up-Künstler, der auch in Düsseldorf aktiv ist, formuliert die Fehde zwischen Sprayern und Street Art-Machern drastischer: „In den Augen der Graffiti- Leute sind wir alle Hipster-Idioten.“ Die Malvergangenheit der meisten Kreativen in seinem Umfeld erklärt für ihn, „warum das eine einseitige Nummer ist“, so Ossege. Generell sei die Street Art-Community offen. Und wichtiger als Streitereien sind für Ossege sowieso die Szene und ihre Anliegen. Darum hat der 33-Jährige zusammen mit Kollegin Katja Glaser vor zwei Jahren das Projekt „Straßengold“ gegründet, aus einer Unzufriedenheit mit Galerien und Street Art- Festivals heraus. „Wir denken, dass die Kunstform nur sehr schwer zu repräsentieren ist. Den Arbeiten geht in der Galerie ein Stück der Seele verloren“, sagt er. Die Grundidee, Kunst auf der Straße jedem zugänglich zu machen, ist deshalb fest im Straßengold-Konzept verankert. Ende September ist die dritte Ausstellung im Rahmen des City Leaks-Festivals zu Ende gegangen. Nun folgt die gemeinsame Nachbesprechung mit den Künstlern, die allesamt auf der Straße vertreten sind. Auch die Idee, einen Lobbyverband für Street „Den Arbeiten geht in der Galerie ein Stück der Seele verloren.“ Art-Künstler anzugehen, steht im Raum. Baustellen gibt es genug: Zum Beispiel die Panoramafreiheit, eine rechtliche Lücke des Urheberrechts, die insbesondere Künstler betrifft, die den öffentlichen Raum bespielen. Bilder der Kunstwerke werden – abfotografiert – oftmals kommerziell ausgeschlachtet. Ossege erzählt: „Vom Frühstücksbrettchen bis zum Topfuntersetzer war schon alles dabei.“ Aufmerksam macht er die Verantwortlichen immer. Denn auch wenn es die rechtliche Lücke gebe, sei es moralisch nicht vertretbar. „Es ärgert mich jedes Mal. Und die Antworten gleichen sich: ‚Es ist doch eine super Werbung für dich als Künstler‘ oder ‚Ich konnte den Künstler nicht finden, sonst hätte ich mich gemeldet.‘ Das ist alles die gleiche, fadenscheinige Scheiße“, so Ossege. Generell sei es wichtig, aufmerksam zu sein. Auch bei Großprojekten wie den Street-Art-Museen in München und Berlin. 9

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