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November 2018 - coolibri Bochum

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THEMA D O R S T E N

THEMA D O R S T E N GelungeneArchitektur:RoteFinnstadt Fotos (4): Fabian Paffendorf Stadt(teil) der Zukunft Mit den Zechen der MetropoleRuhr ist 2018 endgültigSchluss,die Bergbau-Ärades Ruhrgebiets endet. Mitdem BergwerkProsper- Haniel in Bottrop, dessen Industriebebauung in denfrühen 1950er-Jahren vomArchitektenWalter Brune entworfen wurde, schließt Ende des Jahres dieletzte Zeche. DerBergbau hinterlässt im Ruhrgebiet ein großes architektonischesErbe. DieBebauung des heutigen Dorstener Stadtteils Wulfen gehört zu den wohl spektakulärstenProjekten ausder Zeit derMontanindustrie. SchöneParkanlagen mitvielGrün,idyllische Alleen undein großer See–beim entspannten Spaziergang durch Dorsten-Wulfen kann man dieNaturvon ihrerwohlschönsten Seiteerleben. Abseitsdes Shopping-Rummels,der in der DorstenerCityherrscht. In Wulfen gibt’sdas Kontrastprogramm.Spielende Kinder, fröhliche Entchenund Menschen,die gerade ein SchwätzchenamWegesrandhalten, bestimmendie Geräuschkulisse an einemSpätsommertag.InWulfen lebt sich’s ruhig, da lebt sich's schön, formulierteiner derPassanten.AberWulfenist anders als andere Stadtteile vonDorsten. Wulfen istvon Beginnannämlich keinStadtteil 8 gewesen, wurdespäterzwar eingemeindet, aber fühltsichtrotzdemirgendwiegänzlichanders an.Wer sich genauer umschaut,die Architektur undStraßen in Wulfen näher betrachtet, demwirddämmern,dasshinterWulfen einPlan steckenmuss. Wulfen isteineeigeneStadt – entworfen am Reißbrettinden späten 1950er- Jahren.Bereits 1938 wurde schon beabsichtigt, in diesem Gebietzwischen denStädten Dorsten undHaltern eine Steinkohlenförderanlagemit zwei Schächten entstehenzulassen. Bisder gesamteFeldbesitz,der fürdiesenPlannotwendigwar allerdingsinder Hand einerGewerkschaft sein sollte,vergingennochmehrere Jahre.Erst1956, als derMülheimerBergwerks-Vereinund dieGewerkschaftMathias Stinnes in der AktiengesellschaftStinnes aufgingen,kam Bewegungindas Projekt. Ab 1958 wurden dieSchächteIund II derZeche Wulfen niedergebracht,ihre Fertigstellung war für 1963 anvisiert.Rund8000 Menschen solltenhierzukünftigarbeiten, so plante man. Aber wo solltendie Arbeiter undihre Familien wohnen? Abhilfe sollte nördlich desZechengeländesmit einemstädtebaulichen Projektgeschaffen werden –der „NeuenStadt Wulfen“. Eine Stadt, in derbis zum Jahr 1988 biszu50000

THEMA PassageWulfenerMarkt Menschen lebensollten,war geplant. Obwohl dieKohlenkriseEndeder 1950er-Jahre dieZeit desgroßenZechensterbenseinläutete,wurde weiterhinandem Wulfener Projektfestgehalten. Fürdiesesgewaltige Unterfangen eine gänzlich neue Stadtzuerrichten, schlossensichdie Bergwerksgesellschaft MathiasStinnes AG,der Kreis Recklinghausen,das damalige AmtHervest-Dorsten,die GemeindenWulfenund Lembeck,ein Bankinstitut sowie derSiedlungsverband Ruhrkohlenbezirk zur Entwicklungsgesellschaft Wulfen zusammen.1961schrieb diese Gesellschaftdann einenStädtebauwettbewerb aus.Verantwortlich fürdie Planungwar dieBerliner Planungsgruppe Grosche-Börner-Stumpfl. Derhohe Anspruch derStädteplaner: Dieneue StadtWulfen sollte eine Stadtder Zukunftwerden, diedas Wohnen im Jahre2000 vorwegnehmen würde.NachEröffnungder Zeche, die denwirtschaftlichenGrundsteinfür dieneue Stadtbildensollte, begann dieWohnbebauung aufder grünenWiese.1968wohnten bereits 550Menscheninder „NeuenStadt Wulfen“, die über vieleJahre aber noch eine Dauerbaustelle sein sollte. Involviertinden Bauder neuenStadt warzuBeginn der70er-Jahrezudem dasBundesbauministerium,das in denJahren1971bis 1973 drei Wohnungsbauwettbewerbemit speziellerZielrichtung auslobte.ImJahr 1971 stand Wohnhäuser Kampstraße derWettbewerb unterdem Thema„Flexible Wohnungsgrundrisse“.Mit Bundesgeldern gefördert wurde einBau,der dieHausnummern 1-40 an derJägerstraße trägt:Das Experimentalwohnhaus „Habiflex“, dasvon denGelsenkirchener ArchitektenRichard Gottlob undHorst Klementmitfinanziertund gebaut wurde.Merkmal des Hauses warenseine verschiebbarenInnenwände sowie sein futuristisches Äußeres. DerBundesbauwettbewerb 1972 trug denNamen„Elementa“, er brachte Wulfen dieerst1982fertiggestellteLadenpassageWulfener Markt.Entworfen wurde sievon demTeamdes bekanntenArchitektenJosef Paul Kleinhues, demSchöpferder Hamburger Deichtorhallen.Die Passage führte5600QuadratmeterVerkaufs-und rund 10 000 Quadratmeter Wohnfläche zusammen. 60 Wohnungenund 37 Ladenlokaleumfasstedie Planung desGebäudekomplexes, dessen symbolischer erster Spatensticham10. Mai1979 gefeiert wurde. Experimentalbau Habiflex DerBundesbauwettbewerb „Integra“1973 brachte die„Metastadt“, einFertighochhaus- Bausystemdes ArchitektenRichard J. Dietrich, nachWulfen.Der 1974 fertiggestellteBau besaß 102Wohnungen unddiverse Ladenlokale. Im Folgejahr entstand mitder „roten Finnstadt“ eine weitereexperimentelleWohnbebauungaus vier kreuzförmigen, terassierten,fünfgeschossigen Häusern. Die„rotenFinnstadt“ istallerdingsauch dereinzige Experimentalbau Wulfens, derdie Zeit mitBravour überdauert hat. Denn bereitsinden frühen 70er-Jahren begann dasGroßprojekt „Neue StadtWulfen“ aus denAngeln zu geraten. Stattder erwarteten 8000 Arbeitsplätzebrachtedie Zechenur knapp450 –und schon während des Baus derStadt wurdedas Gesamtprojekt immer weiter zusammengestrichen. Plötzlich plante mannur noch für knapp30000 Menschen.Und mehrere Bauten solltendas Jahr 2000 garnicht mehr erleben. Aufgrund baulicher Mängel musstedie Metastadtbereits 1987 wieder abgerissenwerden. Das Habiflex- Haus litt ebenso unterProblemen. Kurz nach dessen Fertigstellungbemerkteman diemangelhafte Isolierung derWohnungen.Die Mängel warensoeklatant, dass sogarKondenswasser ausden Steckdosenlief.Seit2008 istdas Habiflexunbewohnt, dieStadt Dorstenließseine Eingänge 2010 zumauern. Auch dieEinkaufspassage am Wulfener Marktverkam. Die130 Meter lange, nach beiden Seiten offenePassage des Einkaufscenters, wurde immerweniger frequentiert. Besonderslittdie PassageanihrermangelhaftenEinbindung derbenachbartenOrtsteile.Sofunktionierte sienie alsTor undals Mittelpunkt der„NeuenStadt Wulfen“, wieein Gutachtenvon Stadtbaukultur NRW analysierte. 2008 wollte dieStadt Dorstenden Bauvon derEigentümerin,dem Medico-Immobilienfond Nr.18, kaufen,aberder Eigentümerwechselscheiterte. Zwar gabesnachder Insolvenzdes Fonds einige Interessenten, aber dienahmengleichwiederAbstand vondem Vorhaben oder diegebotenenSummen reichten Banken undder Stadt Dorstenals Gläubigerin nichtaus. Seit 2017 gibt’sinder Passagekeine Geschäfte mehr unddie Immobiliewurde aus derInsolvenzmasseihrerfrüherenEigentümerin herausgenommen.ImSeptember mussten dieletzten Mieter aus demTeilder Wohnbebauungausziehen. Wulfen istheute keine„Zukunftsstadt“ mehr,sondern einDorstener Stadtteil, derfür rund 12 000 Menschen eine Heimat ist. Fabian Paffendorf Diskussionsrunde „Ist das Metastadtsystem wieder zeitgemäß? ModularesBauen heute“ : 7.11.,19 Uhr; Technisches Rathaus, Bochum 9

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