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November 2017 - coolibri Recklinghausen, Gelsenkirchen, Herne

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B L I C K P U N K T : N

B L I C K P U N K T : N A C H H A L T I G K E I T Einkauf Fotos (2): Lina Niermann ohne 21,04 Euro kostete der plastikfreie Einkauf (inkl. Weckglas). Es fehlen Hähnchen, Zahnpasta und Chips. Auf dem Einkaufszettel stehen Nudeln, Joghurt, Milch, eine Fertigsuppe, ein Tiefkühlgericht, Chips, Tampons, Zahnpasta, Äpfel und ein Hähnchenbrustfilet. Mit Jutebeuteln und Tupperdosen bewaffnet geht es los. Erster Stopp: Das Veggihaus in der Bochumer City. Der vegetarische Laden hält lose Ware wie Haferflocken, Nüsse und Cornflakes in Spendern bereit, an denen sich Kunden die gewünschte Menge in Weckgläser abfüllen können. Klassische Pasta gibt es leider nicht. Dafür aber immerhin Risoni, kleine Nudeln in Reisform. „Ich würde das Angebot auch gerne noch erweitern“, erklärt Inhaber Uwe Klimansky, „allerdings liegt die bisherige Nachfrage weit unter den Erwartungen.“ Seinen gepufften Bio-Quinoa hat er schon heruntersetzen müssen, weil bald die Haltbarkeit abläuft. Der Inhaber sieht eine Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis: Theoretisch wünschten sich Kunden unverpackte Ware, in der Praxis griffen viele aber dennoch auf die verpackte Alternative zurück, die oft günstiger ist. „Wir beziehen unsere Nüsse von Bode Naturkost aus Hamburg in 20-Kilo-Säcken. Da können wir einfach nicht den gleichen Kilopreis anbieten wie andere Firmen, die ganze Güterzüge ordern“, sagt Klimansky. So sehr er die Idee von Nachhaltigkeit und Müllvermeidung unterstützt, als Kaufmann müsse er eben auch wirtschaftlich denken. „Es geht nur, wenn alle mitmachen“ lautet sein Resümee. 8 Der erste Verstoß Neben den Risoni wandern noch Joghurt, Milch und eine Fertigsuppe in den Einkaufskorb. Die Milchprodukte sind in Mehrweg-Gläsern bzw. -Flaschen erhältlich, die Fertigsuppe in einer recycelbaren Glasverpackung mit Schraubdeckel. Die geplanten Chips fallen weg, die gibt es nur in Kunststoff-Tüten. Der erste Fehler passiert am Tiefkühlregal: Die Wok-Gemüse-Pfanne kommt in einer Faltschachtel aus Pappe daher und wird eingepackt. Später stelle ich fest, dass sie mit Polyethylen (PE) beschichtet ist, einem Kunststoff, der das Durchweichen der Verpackung verhindert. Binden, teure Äpfel und kein Hähnchen Die nächste Herausforderung sind die Tampons. Da ist selbst die Bio-Variante noch mal einzeln in Plastik verpackt. Warum das so ist? Auf Nachfrage beim Hersteller Natracare kommt die Antwort: Als medizinisches Produkt müssten Tampons einen mikrobiologischen Standard erfüllen. Die Schutzhülle aus Polypropylen verhindere das Eindringen von Bakterien, was mit einer biologisch abbaubaren Folie nicht gewährleistet werden könne. Also besser keine Tampons, stattdessen Binden, auf denen explizit die Anmerkung „plastic free“ steht. Der Kilopreis der Bio-Äpfel beträgt im Veggiehaus stolze 4,49 Euro. Also lieber weitersuchen. Im Edeka Burkowski ist die Bio-Ware günstiger, allerdings in Folie eingeschweißt. Ein Gewissenskonflikt macht sich breit: Bio in Folie oder Nicht-Bio ohne Folie? Kurzerhand stopfe ich sechs konventionelle Äpfel, die immerhin aus der Region stammen, in den mitgebrachten Jutebeutel und wiege sie ab. An der Fleischtheke reagiert man auf meine Tupperdose mit Ablehnung. Aus hygienischen Gründen könne das gewünschte Hähnchenfilet leider nicht darin platziert werden. Schade, also nur mit den Äpfeln zur Kasse. Der Jutebeutel mit dem aufgeklebten Preisetikett stellt indes kein Problem dar. Die Kassiererin zieht ihn ohne Kommentar übers Band und wünscht noch einen schönen Tag. Zahnkreide statt Zahnpasta Im Reformhaus Bacher habe ich die Wahl zwischen Zahncremes in Plastik-Tuben oder welchen in Alu, mit einem Deckel aus Plastik. „Wir hatten auch mal Zahnkreide in einer Papiertüte“, erzählt Verkäuferin Heidi Rüter, „aber die haben wir mangels Nachfrage aus dem Sortiment genommen.“ Die britische Kosmetik-Kette Lush verkauft Zahnputzpulver und -tabs. Leider haben sie in Bochum keine Filiale. Ein letzter Versuch bei der Fleischerei Hirsch doch noch ein Hähnchenfilet zu bekommen, scheitert ebenfalls. „Alles was von draußen kommt, darf ich nicht über die Theke nehmen“, sagt Fleischerei- Fachverkäuferin Tanja Malecki. Da lässt sie auch nicht mit sich handeln. „So sind leider die Hygienevorschriften.“ Nach zweistündiger Einkaufstour lautet das Fazit: Von jetzt auf gleich sein Einkaufsverhalten auf plastikfrei umzustellen, ist nicht ganz einfach. Man muss Infos über Produkte, Verpackungsmaterialien sowie Geschäfte einholen und sich mit Recycling-Kreisläufen beschäftigen. In Bochum sind zurzeit noch lange Laufwege und viel Zeit nötig. Zudem ist nicht jedes Produkt in einer plastikfreien Variante zu haben. Hinzukommt, dass unverpackte Ware oft teurer ist als verpackte. Trotz aller Hindernisse findet die Zero-Waste-Bewegung auch in Bochum immer mehr Anhänger. Bald soll an der Ruhruniversität der erste Unverpacktladen eröffnen, dann dürfte es mit dem plastikfreien Einkauf leichter werden. Lina Niermann

B L I C K P U N K T : N A C H H A L T I G K E I T Plastik verschmutzt die Weltmeere, zersetzt sich sehr langsam und belastet das Ökosystem für Jahrhunderte. Eigentlich spricht vieles dafür, auf dieses Verpackungsmaterial zu verzichten. Aber wie einfach ist plastikfreies Einkaufen wirklich? Lina Niermann hat in Bochum den Selbstversuch gewagt und sich in das Gewirr von Zahnkreide, Bio-Binden und Weckgläsern gestürzt. Zum Vergleich ist Dominique Schroller ganz konventionell einkaufen gegangen. Die Bilanz spricht für sich. Der konventionelle Einkauf kostete (inkl. Einkaufstasche) 14,07 Euro. und mit Plastik Die Aufgabe ist einfach: ein Alltagseinkauf beim Discounter. Also alles rein in die Tüte und mal sehen, was an Verpackungsmüll so zusammen kommt. Doch da hört der Spaß auch schon wieder auf. Denn üblicherweise ist Plastiktütenvermeiden spätestens an der Kasse mein erklärtes Ziel. Doch diesmal muss es eben anders gehen. Der Mehrwegbeutel kommt trotzdem mit, nur zur Sicherheit. Er hilft mir zunächst auch beim Tragen, denn einen Einkaufswagen zu nehmen, vergesse ich schon am Eingang. Es gibt kein Zurück. Die Alarmanlage macht das lautstark klar und die Tür bleibt zu. Also gut. Andere Richtung einschlagen und die Regale abscannen, um die Einkaufsliste wenigstens einigermaßen systematisch abzuarbeiten. 500 Gramm Nudeln stehen ganz oben auf dem Zettel, zuerst türmt sich rechts allerdings Tetra-Pack-weise H-Milch auf. Die Suche nach einem Bioprodukt bleibt vergeblich, lediglich die Sojamilch trägt ein grünes Logo. Also wandert erst einmal die konventionelle Kuh- Milch in den Beutel. Auf der Suche nach dem Joghurt findet sich in unmittelbarer Nachbarschaft doch noch Bio-Milch. Das führt mich zurück zum H-Milch-Turm, wo ich die eine stehen lasse und die andere mitnehme. Beim Joghurt das gleiche in Grün: die 500 Gramm gibt es nicht von glücklichen Tieren und die kurze Überlegung, stattdessen vier kleine Bio-Becher mitzunehmen, erscheint sofort genauso absurd, wie sie ist. Im Regal gegenüber sehe ich mich nach der gewünschten Fertigsuppe um. Spargelcreme will so gar nicht in die Jahreszeit passen - selbst wenn es für Tütensuppen nun wirklich keine Saison gibt. Trotzdem. Die Entscheidung ist gefallen: Brokkoli-Lauch soll in den Topf. Erstarrte Hühnerbeine Die nächste Herausforderung lauert in der schier endlosen Phalanx der Tiefkühltruhen. Den Kopf gesenkt, schreite ich sie ab, mustere erstarrte Hühnerschenkel neben portionierten Schweinefilets und kleinen Hügeln Rinderhack. Dabei fällt mir ein, dass ich die geforderten Hähnchenbrustfilets noch nicht eingesackt habe. Portioniert, mariniert, vorgebraten und hübsch plastikverpackt warten sie im Kühlregal. Erledigt. Zurück in der Frostabteilung fällt die Wahl auf den Klassiker: die Tiefkühlpizza. Das Angebot für eingefleischte Vegetarier ist allerdings sehr überschaubar. Doch wenn schon ungesund, dann richtig. Also erobert die Schokoladenpizza (wer auch immer so etwas erfunden hat) den nächsten freien Platz im sich straffenden Beutel. Fehlen noch Tampons und Zahnpasta - eine leichte Übung, denn es gibt nur Marke oder nicht. Die gewünschten Äpfel sind schon sechsfach abgepackt und bei der Tüte Chips geht es nur um den Geschmack. Ungarisch ist langweilig, also warum nicht mal Thai- Curry. Auf dem Weg zur Kasse komme ich an Erdbeeren vorbei, die fast neben den Lebkuchen liegen. Die Frage, wer die jetzt kauft, bleibt unbeantwortet. Stattdessen einreihen in die Kassenschlage und warten, bis die Fracht auf das Band kann. Mit der obligatorischen Tüte - Jutebeutel wäre Auftrag verfehlt, Plastik geht gar nicht, also Mehrweg-Sack für 79 Cent - komme ich auf 14,07 Euro. Nach 30 Minuten stehe ich wieder vor der Tür und gehe Richtung Redaktion. So kann ich meine verheerende Öko-Bilanz wenigstens gefühlt ein wenig aufpolieren. Dominique Schroller 9

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