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März 2021 - coolibri

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INTERVIEW Und draußen

INTERVIEW Und draußen die Welt voller Geschichten Während einerPandemie zurückschauen auf das, wasman voreinigen Jahren aufPapierfesthielt undimmer noch liebt.Patrick Salmen hatimeinsamen undlichterlosestenDezemberaller Zeiten ein neuesBuchveröffentlicht. „Und draußendie Welt“ ist eine Sammlung vonseinen persönlichen Lieblingen undein schönerKompromiss, um dieZeit ohne Auftritteund vordem großen Roman, derbald folgen soll,zuüberbrücken.Erund Christopher Filipecki trafen sich bei winterlichen Sonnenstrahlenvor seinem temporärgemietetenBüro. Wiegehtesdir,Patrick? Es istein Aufund Ab.EsgibtdurchausPhasen, in denenich sehr demotiviertwar unddie Dynamik einesLiveauftrittstotal vermisste. Manfühlt sich einfachsowenig gebraucht. Seit zwei Monatengeht’smir aber wieder ganz gut.Deswegenhabeich nunauch einBüro, raffemichauf undprobieredie Zeit „danach“ vorzubereiten. WiefühlstdudichdenninsgesamtseitMitte März,was hatsichgeändert fürdich? Ichhatte riesiges Glück, weil ichimJanuar/Februar meinegroße Tour gespielthabe. Dadurch hatteich nichtsofinanzielle,existenzielleProbleme wiemeine Kollegen. Ichspreche also eher aus einerprivilegierten Position. Allerdingshabeich mirnun über zehn Jahredas alles aufgebautund alles immer selbst gemacht,umhiernun stehen zu können –und wenn du dann plötzlichohnedeinVerschulden aufeinmalarbeitslosbist, istdas einkrasses,unangenehmesGefühl. Du denkstkurz, du wärstein Versager, ohne etwasdafür zu können.Nachdem ichmir einenÜberblick verschaffthabe, wasmeine Kollegen so machen, habeich für mich entschieden: entwederliveodergar nicht. Autokino habeich einmal ausprobiert undeswar derbeschissenste Auftritt meines Lebens.Man hatsoromantisierte Vorstellungendavon. Alle sitzen mitgewelltenHaarenineinem blassblauen Cadillac.Die Realität istabereherWuppertal-Oberbarmen,Fiat Multiplaund Hupkonzert.Das istgar nichtmeins.Stattdessen habeich lieber dieSachen, dieich malangefangenhatte,probiertweiterodersogar zu Ende zu machen. Dass das Autokino so mies lief,mussalsodemnach an derInteraktion mitdem Publikum liegen und nichtandeinenTexten… Genau! Gerade beiHumor istdas wichtig. Es geht nichtnur um Lacher, sondern um Gesichtsausdrücke. Zu sehen, dass mannicht gegeneine Wand liest. Humorist keineWeltliteratur, dienur fürsichsteht,sondern etwasDynamisches,etwas Interaktives undwirdsoeinfachwertlos. 44 StattAuftritte hast du etwasveröffentlicht. „Und draußendie Welt“ kam im Dezember raus.Erzähl gernmal waszuden Hintergründen! Das istein Best-of-Buch,quasidie besten Texteaus meinen ersten drei Büchern„Distanzen“,„Tabakblätter undFallschirmspringer“ und„Das bisschen Schönheitwerdenwir nichtmehrlos“. Da sind ganz vieleTexte dabei, dieich bisheute noch sehr mag–gleichzeitig aber auch viele, beidenen ichmichechtfrage,was mich damals geritten hat. Bevoraberdiese Bücher komplett eingestampft werden,gibtesnun eine SammlunganKurzgeschichten, Miniaturenund Beobachtungen zusammengefasst in „Und draußendie Welt“, ohne festes Thema. Insgesamt sehr melancholisch und poetisch. Klingt nostalgisch. Bist du einNostalgiker? Ja,schon.Ich bin jetzt kein Fortschrittsfeind oder jemand, der immer von „Der guten altenZeit“ spricht. Aber einbisschennostalgisch sind wahrscheinlich alleMenscheninkreativen Berufen. Ichdenke oftbildhaft, bin empfänglich fürKlänge undErinnerungssplitter.Einmal dieWoche fahre ichzumeinemGeburtshaus undgehedortspazieren.Alsoirgendwobin ichnostalgisch,ja. Wassiehstdudenn, wenn du nach draußenindie Weltschaust? DerTitel passtzur aktuellen Situationtotal gut,was aber eher Zufall war. IchseheeinfachGeschichten.Viele sind damals im Luisenviertel in Wuppertal entstanden.Ich hatteeineErdgeschosswohnung, sodass ich, wenn ichaus demFenster schaute, immernur dieKöpfe derLeute gesehenhabe undkonnteauch in dieWohnungen derNachbarnschauen.Ich mochte es,aus diesen ersten Eindrücken mir Geschichtenauszudenken undda einzutauchen.Typologien zu entwickeln macht totalSpaß–washaben dieseMenschenwohlhintersich, wieist ihr Umfeld?Das istder Leitfaden, derdas alles vereint. Inspirierendeszufindenist aktuellsehrvielschwieriger denn je,oder? Gerade Zugfahrten warenimmer mein Ding. Manhat selten Handyempfang undich habeauch niemeinenLaptopdabei.Somit kann mannur lesen–generell gibtmir jedesBuch,das ichlese, immer einoderzweicoole Ideenmit –oderdie anderenZuggäste beobachten undGespräche heimlich belauschen.Klingt immer einbisschenpsycho, wenn mandas sagt. Während Corona habeich gelernt, wiederrichtig zu lesen. Eigentlich habe ichaus meiner Liebefür Literaturherausangefangenzuschreiben,was im Laufeder letztenJahreleider wenigerwurde.Nun nehmeich mir aber jedenTag vor, einbis zwei Stundenaufmerksam zu lesen. Als Selbständigerist manauch nichtgezwungen,sichfortzubildenoder sich mitetwas anderemauseinanderzusetzen,was Inputgibt. Deswegen lerneich dasgeradenochmal neuund es klapptauch gut. Mandenkt,alleAutoren kommen nunimkommenden Herbstmit vier oder fünf neuenReleasesumdie Ecke,weilallen langweiligwar –die Wahrheit istaber, es fälltniemandem wasein.Und dasxte Corona-Tagebuch möchte manjaauch nichtlesen.MehrZeitzuhaben,ist nichthilfreich. Eher im Gegenteil.

INTERVIEW Trotzdemkann Corona kreativmachen. Da sind zum Beispiel Onlineshows. Hast du damitErfahrungengemacht? Garkeine.Nicht malals Konsument. Konzerte oder Lösungen sind fürmichein Live-Ding. Wenn ichvor einemBildschirmsitze,möchteich eine SerieodereinenFilm gucken.Habeeszwei-, dreimal probiert,aber dann sein gelassen.Warum sollte ichesalsoals Künstlerdann anbieten? Manche meiner Kollegen hatten superEinfälle, ichbin irgendwienicht so der Typdafür.Zwischenzeitlich gabesauch so einÜberangebot, dass ichdanicht auch noch mitmachen musste. Obwohl es zu meinem Job gehört, binich kein digitalerMenschund auch nichtgut in Selbstvermarktung. Vieles benötigt eben –wie schon erwähnt–das Publikum. Exakt. Ichhabeauch in meinen eigenen Wohnräumen garkeinInteresse daran, irgendwieauf Sendung zu sein oder Dinge mitzuteilen. Ichliebe meinen Job, aber derfindetnur aufder Bühnestatt.Dakomprimiere ichauch meineprivate,eherintrovertierteArt mit. Aufder Bühneist maneineRolle,eineinteressantere Form seiner selbst.Manchmal denkeich schonbei einemFacebook-Post,dassich Leuten aufden Keks gehe.Ich wäre schon gerneein Stückweitselbstbewussterund wünsche mir auch mehr Selbstverständnis.Jeder möchtemit seiner Kunstgeliebt werden undMenschenglücklichmachen. Klar,anecken ist auch ok,geradeSatire istGeschmackssache. Ich kann es niemandemübelnehmen, wenn jemand nach meiner Show sagt „Nee,sorry,war garnicht meins“, aber daskriege ichaus derPerspektive als Künstler nichtgut gewechselt undmache dann lieber nichts, als jemanden zu nerven. „Einmal dieWoche fahre ichzumeinem Geburtshaus und gehe dort spazieren. Also irgendwobin ich nostalgisch, ja.“ Du hast sogarmal Auftritteaus Panik abgesagt. Das war ungefährimSeptember rum, da hatteich eine Phase, in deresmir garnicht gut ging.Dahatten dieLäden wiederhalb geöffnet undman konnte vor30bis 40 Leuten auftreten.Ich habebei einemAuftrittnacheiner langen Pauseplötzlichkeine Luft mehr bekommen,meinHals schnürte sich zu,ich hatteSchweißausbrüche.Daraufhin kämpfte ichein paar Wochen mitPanikattacken und mussteeinigeShows absagen. Ichhatte langeüberlegt, ob ichdas öffentlich kommuniziere,habemichdann aber dafür entschiedenund einriesiges, tolles Feedback bekommen.Anscheinend herrscht gerade eine Schwächen- undFehlerkultur. DerVorteil daranist,dassman psychische Probleme etwasentstigmatisiert,gleichzeitigmöchteman aber auch nichtdaraufreduziert werden.Ich möchtenicht derTyp sein,der immer über seineAngst spricht. Deswegenwar nach zwei Postsauch wieder gut mitdem Thema. Wo siehst du noch Verbesserungsbedarfhinsichtlich desUmgangs mit derKulturszene? Als Künstlerhat mannochden Vorteil, dass manvorproduzierenkann. Aber einTontechnikerkann jetztimVorfeld keine15Konzertemischen. Das Gleichebei Restaurantsund Bars.Ich habenicht denperfektenLösungsansatz, da öffentlicheGelder irgendwann auch verbrauchtsind. Allerdings istesschade, dass manche großen Konzerne so viel Geld bekommenhaben undandereums Überlebenbangen, waseinem Künstlerdas Patrick Salemist einDichter undDenker. Gefühlgibt, er seinichtswertund werdenicht ernstgenommen. Binzwischennicht zu viel jammernbzw.beschwerenund ungerechter Behandlunghin-und hergerissen. Hast du zurNot einenPlanB,wenndas mitder Kultur schwierigbleibt? Ichmerke natürlich,wie abhängigich vonAuftrittenbin,die 80% meiner Einnahmenausmachen. Es mussjaauch keine Pandemie sein.Auch private Sachen können einenamAuftreten hindern.Deswegenhabeich gemerkt,dassein zweiterZweig garnicht so schlecht ist. Ichmöchteeine Bookingfirmaaufmachenund dreibis vier KünstlerlangfristigbeimAufbauunterstützen. Außerdem werkeleich an einemYouTube-Format,was dann aber in einemStudio gedreht wird. Vielleichttut es mir auch gut, mir einennormalenJob halbtags zu suchen.Soodersoschätzeich meineArbeit wieder sehr wert undmöchteihn weitermachen.Das istdie guteSeite derZwangspause. Wo würdest du spielen wollen,wennduheute Abenddie Möglichkeit hättest? EntwederinderPelmkeinHagen,imHutmacherinWuppertaloderim Zakk in Düsseldorf. Im Zakk hatteich meinen allerersten Soloauftritt.Mit richtigschlechtenTiergedichten. 45 Foto: Fabian Stuertz

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