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Juni 2015 - coolibri Düsseldorf

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I N T E R V I E W „ Z

I N T E R V I E W „ Z e u g n i s s e u n s e r e s D a s e i n s “ Josef Schulz ist gut im Training, was Interviews angeht. Der Düsseldorfer Fotograf, der in der legendären Becher- Klasse studiert hat, ist derzeit ein gefragter Gesprächspartner für Medien aus der ganzen Welt. Sie alle interessieren sich für die Serie „Übergang“, für die Schulz verlassene Grenzposten in Europa fotografiert hat. Alexandra Wehrmann hat den Künstler getroff en. Deine Serie „Überg ang“ hat durch das, was derz eit in Eu ro pa passiert, eine politisis che Dimension bekommen. Seit wann regis triersrs t du eine ve r- stärk te Nachf fr age nach den Fo tos? Das hat schon im Januar begonnen. Ich kam gerade von einem Arbeitsaufenthalt aus Israel zurück, als die ersten Anfragen von Redaktionen eingingen. Mittlerweile wurde weltweit über die Serie berichtet. Unter anderem in der „Gazeta Wyborcza“ in Polen, in der US-amerikanischen Onlinezeitung „Huffington Post“ und auf sueddeutsche.de. Gerade heute Morgen habe ich noch eine Stunde mit „Aft enposten“ telefoniert, einer norwegischen Ta - geszeitung. Trotz alledem ist es mir lieber, wenn die Serie nicht auf die aktuelle politische Situation bezogen wird. Das war ja damals auch nicht meine Intention. Ich verstehe mich nicht als politischen Künstler. Flug gebucht, einen Mietwagen genommen und bin die Grenze abgefa h- ren. Da die Straßen ja nie direkt parallel zur Grenze verlaufen, war das ein ziemlicher Zick-Zack-Kurs. Später habe ich dann auch an anderen Grenzen fotografiert. An der zwischen Österreich und Ungarn beispielsweise. Oder an der deutsch-polnischen. Kl ingt so, als hättete st du fü r das Pr ro oj ekt ganz schön vi ele Ki lomete r zurückg elegt. Allerdings. Da kamen schon mal 2 000 bis 3 000 Kilometer in einer Woche zusammen. Deshalb war es für mich wichtig, einen Mietwagen ohne Kilometerbegrenzung zu haben. Später habe ich dann mal nachgerechnet: Für das gesamte Projekt bin ich ungefähr 25 000 Kilometer gefa hren. Wi e ents tand die Idee, ve rlassene Grenzüberg rg änge zu fo tograf fi eren? Die Idee entstand im Jahr 2004, zu der Zeit lebte ich in Berlin. Im Südwesten der Stadt stieß ich auf den Kontrollpunkt Dreilinden, genannt Checkpoint Bravo, an der Transitautobahn zwischen Westberlin und Westdeutschland. Ich fa nd das Thema, wie Grenzen rezipiert werden, auf Anhieb spannend. Kurz darauf habe ich ein paar Initialreisen in die Benelux- Länder unternommen und schnell gemerkt: das Ganze hat Potenzial. Ich habe dann noch recherchiert, ob schon ein Fotograf auf die gleiche Idee gekommen war. Das war aber nicht der Fall. Wa s genau hat dich an dem Th ema gereiz t? Als Fotograf hast du ja grundsätzlich zwei Möglichkeiten. Entweder du arbeitest mit Menschen oder mit Architektur. Ich habe mich in dem Fall für letzteres entschieden, sozusagen für die Zeugnisse unseres Daseins. Spannend an dem Thema Grenzübergänge fa nd ich in erster Linie den psychologischen Moment. Wenn du eine Grenze überquerst, ist dahinter ja alles immer ein bisschen unklar. Du weißt nicht genau, was dich erwartet. Wo kommst du unter? Reichen die Sprachkenntnisse aus, um vor Ort alles zu regeln? Es ist dieser erzählerische Moment, der die Fotos ausmacht. Trotzdem haben sie natürlich auch eine dokumentarische Note, sind sozusagen Dokumentation mit zeitgenössischen Mitteln. Wi e hast du die Orte gef fu nden? Google Street Vi ew war ja damals noch nicht so we it. Ich bin einfa ch hingefa hren. Habe mir eine Grenze ausgeguckt, beispielweise die zwischen Spanien und Portugal. Dann habe ich einen günstigen 8 „Ich verstehe mich nicht als politischen Künstler.“ Wi e vi el Ze it hast du dir vo r Ort genommen, um ein Motiv abz ulichte n? Das eigentlich Aufwendige an den Fotos ist in diesem Fall die Nachbearbeitung. Da arbeite ich schon mal drei, vier Wochen an einem einzigen Bild. Das Aufnehmen selber ging hingegen vergleichsweise schnell. Ich schätze, es nahm maximal eine halbe Stunde pro Grenzübergang in Anspruch. Mit Auf- und Abbau von Großbildkamera und Stativ wohlgemerkt. Ich bin niemand, der vor Ort lange wartet, bis das Licht perfekt ist. Gegenlicht oder Schlagschatten nehme ich in Kauf. Wa s hättete Bern d Becher, dein Pr ro of fe ssor an der Ku nstakademie, daz u gesagt? Er selber hat ja nur an schatte te nlosen Ta gen fo tograf fi ert. Becher hätte das sicherlich nicht gutgeheißen. Obwohl er ja auch den schönen Satz geprägt hat: ‚Imitieren braucht ihr mich nicht, das kann ich schon selbst am besten‘. Du hast vo n 1993 93 bis 1999 an der Akademie studiert. Unte r deinen Ko m- militonen waren Leute wi e El lg er Es ser, Natascha Bowo sky oder Bern hard Fu chs. Wi e hast du die Ze it dort erlebt? Ich mochte die irrsinnige Energie, die an der Akademie herrschte. Und den Austausch mit den anderen Studenten. Es macht durchaus einen Unterschied, ob man alleine im stillen Kämmerlein vor sich hinarbeitet oder von Leuten umgeben ist, die auch etwas schaffen. Das zieht einen geradezu mit. Trotzdem war es nicht ganz einfa ch, innerhalb der Becher-Klasse die eigene Nische zu finden. Unter den Studenten gab es zum Beispiel zwei Leute, die Kirchen-Innenräume fotografierten. Um sich voneinander abzugrenzen, hat dann der eine ausschließlich katholische Kirchen fotografiert

I N T E R V I E W Spanien-Fr ankreich bei Cap Cerèbe Foto: Josef Schulz Deutschland-Niederlande bei Emmerich Foto: Josef Schulz Portugal-Spanien bei Badajaj oz Foto: Josef Schulz und der andere evangelische. Ich selber habe in meiner Anfa ngszeit an der Akademie Nachtaufnahmen gemacht. Die Phase dauerte ungefähr drei Jahre. Jetz t haben wi r die ganze Ze it über die Ve rg angenheit gesp ro chen, fü r einen Künstler ve rm utlich die Höchsts traf fe . Wo ran arb eite st du eig entlich momentan? Ich bin gerade an einem Punkt, wo ich wieder eine neue künstlerische Aufgabe suche, also auch an einer Art Übergang. Bei dem eingangs erwähnten Aufenthalt in Israel, in dem Künstlerdorf Ein Hod, habe ich Material für ein Video gesammelt, an dem ich gerade arbeite. Das ist ein Feld, das ich interessant finde und auf dem ich in Zukunft gerne mehr machen würde. Es wird aber die Fotografie nicht ersetzen, sondern parallel laufen. Und was die Fotografie angeht: Da bin ich ab Mitte Juni mit einigen Arbeiten an „Der typologische Blick – Ausstellung für Hilla Becher“ in der SK Stift ung in Köln beteiligt. Dort sind neben Fotografien von Bernd und Hilla Becher auch Arbeiten zahlreicher ehemaliger Studenten von ihnen ausgestellt. Neben den großen Namen, Struth, Ruff oder Candida Höfer, sind auch unbekanntere dabei. Und Mittelgewichte wie ich. „Der ty pologis che Blick – Ausste llung fü r Hilla Becher“: 13.6.–3.7. SK Stif ft ung Ku ltur, Im Mediapark 7, Kö ln; täglich auß er Mittwo ch, 14–19 Uhr Zu dem Pr ro oj ekt „Überg ang“ sind unte r den Ti te ln „Überg ang“ (Schaden) und „Überg ang 2“ (Ve rlag Robert Gessler) zwe i Bildbände ers chienen. 9

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