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Juli 2018 – coolibri Recklinghausen, Gelsenkirchen, Herne

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THEMA D O R T M U N D

THEMA D O R T M U N D Etwasunscheinbarin der DortmunderDudenstraße beheimatetund dochsoimmens wichtig: DieBeratungsstelle der Mitternachtsmission e. V. widmet sich denLebenswegen vonProstituierten, Aussteigerinnen undOpfern vonMenschenhandel.Per aufsuchender Sozialarbeit setztsichdas Team für ein selbstbestimmtes undangstfreies Leben der Klientinnen ein. Zwischen Nähe und Distanz Foto: (c)_Mitternachtsmission e.V. Straßenprostitution istin Dortmund seit sieben Jahrenimgesamten Stadtgebiet verboten die Tatsache, dass siedennoch existiert, besitztkaumeinenNeuigkeitswert.Im Andrea Hitzke Sperrbezirktreffen die Streetworkerinnen derMitternachtsmission täglichauf Beschaffungsprostituierte, Opfer von Menschenhandel undauch Kinderund Jugendliche. „Prostitutionist nachwie vorein Tabuthema“, stellt Andrea Hitzke,Leiterin derMitternachtsmission e. V.,fest. „Trotz regerDiskussionenund gesetzlicher Neuerungen sind Prostituierteweiterhin eine stigmatisierteund diskriminierte gesellschaftlicheRandgruppe.“Aufgrund dieser Ausgrenzungbraucht es alsoauch heute noch eine gewisse Sensibilisierungsarbeit, um eine Gleichstellungherzustellen. Bereits2002 trat daherdas Prostitutionsgesetz in Kraft dieses sollte dierechtlicheund sozialeSituation derFrauenverbessern. Alleinein Gesetz kann jedochdie Gesellschaft nichtumkrempelneine Normalisierung konnte AndreaHitzkenicht feststellen. 16 Foto:: Martina Engert Seit 100Jahrenbesteht derVereinnun in Dortmund,dessenArbeitfrüher vonevangelischen Malche-Schwesternabsolviertwurde.Deren Auftraglautete,Frauenvor derProstitutionzu bewahren.Heute sind es mehrsprachigeHonorarkräfteund Streetworkerinnen,die mitakzeptierendemAnsatzaufsuchende Sozialarbeit leistenund sich für einselbstbestimmtes Lebender Frauen einsetzen.Inder Dortmunder Linienstraße am nördlichenAusgang desHauptbahnhofs gehenrund300 Frauen in 16 Häusern der Prostitution nach. In dieserBordellstraßegelten klare Regeln:Wer hier arbeitet mussvolljährigsein HannaBiskopin undseine Einkünfteversteuern.Solcherlei Auflagenbringenautomatisch neue Probleme mit sich,weißHannaBiskoping,Sozialarbeiterin bei derMitternachtsmission e. V.:„Viele Gespräche drehen sich dortumProblememit derKrankenversicherung,Amtsgänge unddas Prostituiertenschutzgesetz.“ Dieses trat im Juli 2017 in Kraftund siehtunter anderemeineAnmeldebescheinigung für Prostituiertevor.Die Ziele: mehr Schutz,weniger Kriminalität.Die Realität:Unsicherheiten,Ängste. Zu groß dieSorge,geoutet zu werden vielenFrauenist schlichtwegnicht klar,wer durch dieseoffizielleBescheinigung vonihrer Tätigkeiterfährt. Tatsächlich istumgangssprachlich voneinem „Hurenpass“die Rede,Klarnameund Lichtbildinklusive. „Geraten dieseDaten in diefalschen Hände,entstehtein riesiges Erpressungspotential“,soAndreaHitzke.„Prostituierteführenzudem fast immerein Doppellebenund haben Eltern oder Kinder, die nichts vondieseranderenWeltwissen.“ Foto:: Martina Engert Erster Kontakt anonym Zwei-bis dreimal proTag sind dieStreetworkerinnen im Milieu unterwegs, HannaBiskoping gewährteinen Einblick:„Wirsinddortsehrbekannt, bieten unsere Hilfeanund verteilenkostenfreiKondome. UnserAngebot istfreiwillig, wirsindpräsentund jederzeitansprechbar.“ Der Kontakt gestaltetsichanonym, sodass Name undHerkunft zunächst unwichtigsind. Erstbei Amtsgängengeben dieFrauenetwaihreIdentität preis. Bleibt dieFrage nachder Verarbeitung dervielen Begegnungen,die nichtselteneineschicksalhafteBiographie nachzeichnen: „Neben der Möglichkeit derSupervisionexistierteinekollegialeFallberatung hier im Team“,verdeutlicht HannaBiskoping,die keinen Hehldaraus macht,dassman dennochstets dasein oder andere Erlebnis mitnachHause nimmt.Motivation sind dievielenErfolgsgeschichten, vondenenalleMitarbeiterinnen derDortmunderMitternachtsmission berichtenkönnendas reicht vomZulasseneines Kontaktsüberdie Bewältigungder Drogenabhängigkeitbis hin zum geglückten Ausstieg samt Familienplanung. Es sind kleine Schritte, dieaberzugroßenErfolgen führenkönnen. RobertTargan DortmunderMitternachtsmission e. V. Dudenstr. 2-4; Dortmund; mitternachtsmission.de NebenGeld- freutsichdie Mitternachtsmission auch über Sachspendenwie Kleidung,Hygieneartikel und Lebensmittel. Zwei bisdreimal täglich sind die Streetworkerinnen unterwegs Foto: (c)_Mitternachtsmission e.V.

EUROPAKOLUMNE AhmadAbbas:„In Syrienfragendichdie Leute: Werbistdu, um Politik zu diskutieren. In Deutschland zählen Logikund Leistung immer.“ Respekt für Leistung und Logik Foto: :Chantal Stauder B O C H U M Als Ahmad Abbas 2015 zum ersten MalInKontakt mit Europa kommt, muss er seineVorstellung von Europa starkanpassen.Ersagt, das erste Land, das ihmeinen realistischen Eindruck vonEuropa vermittelt habe, seiGriechenland gewesen. Ahmad ist23Jahre alt, hatinSyrien Jura studiert, lebt in Bochum,woerimKulturbereich arbeitet. In Syrien,sagtAhmad,sei ihm eine gewisse Feindlichkeit gegenüber Europa vermitteltworden: „Wir waren selbst Kolonie Frankreichs. Europa,das warenfür mich immer dieBesatzer.“Obwohldie Geschichtsbücher es anders erzählen, je mehr er in Filmen undTV vonEuropasieht,beginntAhmad vomLebensstilin Europa zu träumen: „Man denkt,alles seieinfachund umsonstinDeutschland.Keinermüsse Hunger haben, es gebe einSozialsystem.“Womit manhierarm sei, lebe maninSyrienüberdurchschnittlich.InSyrien lebten Arme zu siebtineinem Zimmer.Hierbedeute es,dassman sich keinen Zugang zu Kultur leisten könne. Ahmad sagt:„Ichhabedas Gefühl, es gibt mehr BildunginEuropazumindest hier in Bochum.“ Aber er erinnertauch negative Situationen. ZumBeispiel, als er hier in einemGastronomiebetriebgearbeitet hat. „Ich dachte,die Arbeitsbedingungenwärengut. Aber 14 StundenohnePausewar normal.Den Chef hat dasnicht interessiert.“ Zu derZeittrugAhmad noch langeHaare undhatte einenHaarreifen während der Arbeitinder Küche.Seine Kollegen fragten: „EyAlter, wasist losmit dir? Bist du schwul geworden?“ Ahmad sagt:„Das hätte ich2018inDeutschland nichterwartet. Ichhabeinder Zeit vieleSchimpfwortegelernt. Undalledortwaren biodeutsch.“ Er habegedacht,alleswäretolerantund offen. Manchmal fehlt Solidarität Ahmed hateinige Länder Europasgesehen. Unter anderemMazedonien, Ungarn,Belgien unddie Niederlande.Ersagt: „Ich habekein Problemmit Europa,sondern mitMenschen. DerStaat tutvielfür sie. Aber es fehlt manchmalanSolidarität.Ich habeabund zu dasGefühl, jedersorgt sich nurumsichselbst.“Ersei da nichtbesser: „Manchmal denkeich,was habeich da für Fleischgekauft? Ichhabevielesvon engagierten Menschen gelernt, zumBeispiel,Plastiknicht mehr zu benutzen.Aberich fragemich, warum sollen wir nur etwasauf individueller Ebeneändernstatt gesamtgesellschaftlich.Auch Medien gehenlieberauf Sachen wieStrohhalmeein statt aufdas Verbot vonDieselautos. Werwirddagetroffen?Die Leute, diesichkein neuesAutoleisten können.“ Ahmad sagt,erhabesichgewundert,dassdie Menscheninden Niederlanden zivilisierterwirkten als die in Deutschland. Es gebe dortbessere Straßen, mehr Ordnung, obwohlman in Deutschlandmehrzahle. „Fürmichist es erstaunlich, dass öffentlicheVerkehrsmittel hier nichtumsonst sind,obwohlman schonsohohe Steuern zahlt.“ Ahmad meint, er habeinDeutschland mehr Respekt erfahren als in seiner Heimat.„In Syriensagen die Leute: 'Wer bist du,Politik zu diskutieren?'InDeutschland zählen Logikund Leistung.Das wirdrespektiert. Und dieLeute fangen nichteinfachanzuschimpfen, sondern wollen Diskussionen zu führen.“ ChantalStauder DieEuropakolumne istein einjährigesProjekt desIBB, derAuslandsgesellschaftNRW sowieder StadtDortmundund demJugendringDortmund 17

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