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Januar 2016 - coolibri Ruhrgebiet

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K U N S T „ I c h m a

K U N S T „ I c h m a g d a s W o r t S o n d e r a u s s t e l l u n g n i c h t “ Der Schweizer Tobia Bezzola steht für ein neues Gesicht des Museum Folkwang in Essen. Wie der Direktor dort Wendepunkte wie den freien Eintritt in die ständige Sammlung erreicht und sich mit der Nicht-Metropole Ruhrgebiet zusammengerauft hat, erzählt er Max Florian Kühlem im Interview. Bedeutete Ihr Antritt als neuer Direktor 2013 auch einen Umbruch im Museum Folkwang? Ich habe sehr rasch festgestellt, dass die ganze Beziehung des Hauses zur Stadt, zur Region, zum Publikum hier unglaublich geprägt war von den großen Blockbuster-Ausstellungen. Die haben dem Museum natürlich eine große Bekanntheit und Verbreitung gebracht, aber eben auch eine sehr einseitige. Man bekam das Gefühl, es lohne sich nicht, ins Museum zu gehen, außer eben alle zwei Jahre, wenn solch eine große Sonderausstellung stattfindet. Das Museum ist aber fast jeden Tag geöffnet, das ganze Jahr. Wie haben Sie das verändert? Ich mag das Wort „Sonderausstellung“ nicht. Es steht für ein Museum, das sonst eigentlich nichts tut. Ich habe versucht, unsere Räumlichkeiten zu öffnen, kontinuierlich zu bespielen. Es gab keine Zeit, in der ich hier war, wo nicht drei bis fünf oder sechs Ausstellung parallel liefen. Verschiedene Größen, Taktungen, Themen, Medien, die sich alle immer überschneiden, weil die Besucher so merken: Ah, ich war vor zwei Monaten da, aber es lohnt sich schon wieder, zu kommen. Der Besuch der Sammlung im Folkwang ist kostenfrei Die ständige Sammlung können die Besucher seit vergangenem Sommer bei freiem Eintritt sehen – ein deutlicher Wendepunkt… …den ich von Anfang an im Sinn hatte. Es fing an mit einzelnen, von Stiftungen oder Sponsoren finanzierten Öffnungstagen bei freiem Eintritt. Als die Karl-Lagerfeld-Ausstellung für ein Wochenende kostenlos war, hatten wir über 7000 Besucher. Unsere Sponsoring-Initiative „Freier Samstag“, die von kleineren Unternehmen getragen wurde, hatte ab Frühjahr 2015 enormen Erfolg bei den Besuchern. So ließ sich die Krupp-Stiftung letztlich überzeugen, den Besuch der Sammlung erst mal für fünf Jahre ständig bei freiem Eintritt anzubieten. Wie wichtig das ist, sieht man zum Beispiel an der Video-Reihe „12 Monate / 12 Filme“ der Sammlung Goetz: Da müssen die Studenten jetzt nicht mehr überlegen, ob sie jeden Monat wieder fünf Euro ausgeben, um die neue Arbeit zu sehen. Unsere Besucherzahlen haben sich im Sommer um das Dreifache erhöht und es kommen deutlich mehr Jugendliche. Ich sehe sogar Teenager, die allein ins Museum kommen. War es Ihre Absicht, mit dem freien Eintritt einen Wechsel in der Besucher-Kultur zu schaffen, Schwellenängste abzubauen – auch nachhaltig? Natürlich habe ich den Wunsch, dass es nach fünf Jahren weiter geht – und dass sich vielleicht nach sieben Jahren das Museum und seine Ökologie anders darstellen. Deshalb gehen wir auch einen Schritt weiter im nächsten Jahr mit „Folkwang UG“, also dem Untergeschoss, dass wir nicht mehr traditionell museal nutzen, sondern öffnen für Kooperationen mit Partnern wie Hochschulen, Volkshochschulen, Künstlervereinen. Dadurch wollen wir mehr Teilnahme, mehr Teilhabe fördern. Ihr Weg ins Ruhrgebiet war ein Wendepunkt in ihrem eigenen Leben. Wie haben Sie ihn erlebt nach 20 Jahren am Kunsthaus Zürich? Man spricht immer von der Metropole Ruhr, aber was es hier tatsächlich ja nicht gibt, ist die urbane Verdichtung. Manchmal ist es schwierig zu sehen: Wo ist die Stadt? Wo sind die jungen Leute, die Studenten? Für mich ist eine Umstellung, dass man sich nicht einfach zu Fuß eine Stadt erschließen kann. Ich habe kein Auto, ich hatte nie eins, und leider fühlen sich die Leute im Ruhrgebiet in ihrem Auto zuhause. Ich werde mich wohl nie daran gewöhnen, dass der öffentliche Verkehr hier so schlecht funktioniert. Er wird vernachlässigt, dabei gibt es ein riesiges Potenzial. Auf der anderen Seite lebe ich doch gerne in Essen. Ich habe eine interessante kulinarische Landschaft entdeckt. Und es gibt hier eine hohe Bereitschaft, auch ohne komplizierte Vorgespräche miteinander in Kontakt zu treten. Der Zugang zu allen Stellen ist sehr einfach. Das ist unheimlich positiv und typisch Ruhrgebiet. 60

K U N S T Dr. Tobia Bezzola leitet das Folkwang Museum seit 2013 Fotos: Museum Folkwang, Jens Nober. Welche Rolle spielt das Museum Folkwang in der regionalen Kunstlandschaft? Die Kombination des Potenzials der Sammlung mit diesem sehr gut funktionierenden neuen Bau und großen Raum macht es zum großen Kunstmuseum des Ruhrgebiets. Im zweiten Kreis ist es eines der drei großen Kunstmuseen in NRW – und wir haben auch viel internationales Publikum. Gehen mit dem Ruf des Hauses als Flaggschiff der Ruhrgebiets-Museen Verpflichtungen einher – etwa zur Kooperation? Nur bedingt. Ich glaube, das Haus dient der Region mehr, wenn es sein Potenzial nutzt und über die Grenzen hinaus mit lebenden Künstlern, Museen und Kultureinrichtungen in Kontakt tritt. Es bringt nicht unbedingt viel, mit Bottrop, Gelsenkirchen oder Bochum einen Austausch zu organisieren. Ich sage immer: Lasst uns ein großes Projekt machen und unsere Sammlungen zeigen – aber nicht hier. Sie in Berlin zu zeigen oder in London, das bringt etwas. Warum sollte ich hier eine Ausstellung machen mit Schätzen aus dem Kunstmuseum Gelsenkirchen? Da gibt es tolle Werke, aber die Leute können doch da hin fahren! Sie haben für Ausstellungs-Projekte im Budget eine so genannte „freie Spitze“ von 800.000 Euro. Dieselbe Summe kommt durch Sponsoren hinzu. Kann man damit mit dem Kölner Museum Ludwig oder der Kunstsammlung NRW in Düsseldorf konkurrieren? Da stehen wir gar nicht gut da. Wenn wir uns mit diesen Häusern messen wollen, sind wir massiv unterfinanziert. Zudem sind wir von der Betriebsform her ein städtisches Verwaltungsamt. Das ist nicht unproblematisch. Ich kann nicht für ein Großprojekt eine halbe Millionen in die Hand nehmen und sagen: Die spielen wir wieder ein. Unsere Einnahmen gehen erst mal an die Stadt. Wie stellen Sie trotzdem ein attraktives, abwechslungsreiches Programm wie das für 2016 zusammen? Durch Kooperationen mit anderen Institutionen kann man Kräfte und Energie bündeln. Die meisten Ausstellungs-Projekte sind so entstanden. Die Schau mit Thomas Struth zum Beispiel geht an den Martin Gropius Bau in Berlin und mehrere amerikanische Museen. Struth ist einer der wichtigsten lebenden Fotografen und es ist seine erste große Ausstellung seit 2010. Das Besondere: Es ist keine Retrospektive, sondern eine Werkschau mit circa 35, teils großformatigen neuen Arbeiten zu Orten, an denen Menschen neue, komplexe Situationen geschaffen haben: Wissenschaftliche oder medizinische Forschungsstätten, Hochleistungsorte der Vergnügungsindustrie wie Disneyland oder Hollywood und politische Konfliktpunkte wie der Gazastreifen. Max Florian Kühlem 61

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