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Februar 2016 - coolibri Ruhrgebiet

I N T E R V I E W F ü r

I N T E R V I E W F ü r i m m e r N e u n u n d z w a n z i g 138 000 Likes, 7 500 Shares und dreimal so viele Kommentare: Mit seinem Blogbeitrag „Generation Beziehungsunfähig“ ist dem Autor Michael Nast ein Internethit gelungen, wodurch er zum Sprachrohr einer Generation erkoren wurde. Im Februar erscheint sein gleichnamiges Buch über die Generation, für die das Leben zum Marketing- und Optimierungsprojekt geworden ist. „Jedes Detail wird zum Statement, das unser Ich unterstreichen soll: Mode, Musikrichtungen oder Städte, in die man zieht, Magazine, wie man sich ernährt“, schreibt Nast in seinem Beitrag. Ein guter Anknüpfungspunkt, um sich erst mal besser kennenzulernen. Sneaker oder Turnschuhe? Sneaker. Dein Lieblingsalbum 2015? Oh, ich kann mal eben iTunes anmachen und schauen, welchen Song ich am meisten gehört habe. Der wird aber nicht von 2015 sein. Moment... Re-Education von Rise Against. Ich bin sehr festgelegt auf Punk und Hardcore, Radio höre ich gar nicht. Welche Zeitung hast du abonniert? Abonniert nichts, die Zeiten sind vorbei, das passiert bei mir alles online. Da lese ich gerne die Welt oder Bild für die Breaking News, Süddeutsche oder Zeit für literarische Reportagen. Und natürlich Spiegel Online. Als wir eigentlich schon zwei Fragen weiter sind, schiebt er hinterher: Neulich habe ich mir das Magazin „Spiegel Wissen gekauft“, da ging es um das Thema Beziehung und, dass man sich darin ständig gegenseitig manipuliert. Aber das ist vielleicht gar nicht gut, wenn man so was weiß. Man darf nicht alles zerdenken. Ist denn „Generation Beziehungsunfähig“ kein Ratgeber? Nein, definitiv kein Ratgeber und auch kein Sachbuch. Ich hab ja auch nicht Soziologie studiert oder so. Ich bin kein Experte, nur ein guter Beobachter. Deshalb ist es eher in der erzählenden, belletristischen Tradition. Essayistisch. Erscheint am 15.2. Wie sehr geht es um dich selbst? Sehr, sehr! In meinen früheren Büchern war ich noch mehr so der Beobachter. Aber ich hab dann auch festgestellt, dass Schreiben auch eine gewisse Form von Selbsttherapie ist. Ich gehe diesmal sehr nah an mich heran. Was charakterisiert die „Generation Beziehungsunfähig“? Die Bildungswege werden immer länger, man feilt an sich und versucht ein perfektes Ding zu schaffen, was man nicht erreichen kann. Der Beruf wird zur Berufung, in dem wir uns selbst verwirklichen. Aber hier liegt auch ein Missverständnis, weil man nicht wirklich sich selbst modelliert, sondern nur die Fassade. Das geht auch einher mit einem gewissen Jugendwahn, ich selbst bin zum Beispiel gerade 40 geworden, lebe aber eher so ein Endzwanziger-Leben. Die sozialen Netzwerke unterstützen das alles natürlich. Wir sind von der Illusion umgeben, dass alle glücklicher wären als wir selbst, weil alle immer nur ihre Erfolge posten. Woran liegt das? Ich glaube, dass unser Wirtschaftssystem da ins Private übergegangen ist. „Wir modellieren nicht uns, sondern nur die Fassade.“ Das propagiert den neverending Wachstum. Und das überträgt sich auch in die Beziehung. Da wird sich, wenn ein Problem auftaucht, eben nicht mehr bemüht, sondern gedacht: Das Ruhrgebiet ist voll mit potenziellen Partnerinnen, such ich mir halt ’ne Neue! Oder als Mann: dann hab ich halt Sex und dann ziehe ich weiter. Die wichtigere Frage ist, wie kommt man da wieder raus? Das lässt mein Buch aber bewusst offen. Das klingt ja jetzt schon richtig systemkritisch ... Es ist ein gesellschaftskritisches Buch. Aber, wenn ich persönlich auf eine Lesung gehe, will ich auch unterhalten werden. Auf meinen Lesungen wird deshalb auch sehr viel gelacht. Es gibt unterhaltende Passagen und solche, an denen plötzlich nichts Komisches mehr ist. Aber das ist dann auch ganz spannend, weil es dafür einen ganz anderen Applaus gibt. Die Möglichkeit, sich bis weit über 30 selbst zu verwirklichen, ist ja schon elitär: Kann man diesen Trend auch bei KFZ-Mechanikerinnen oder Krankenpflegern beobachten? 8

„Ich bin kein Experte, nur ein guter Beobachter.“ Michael Nast ist gebürtiger Berliner. Er ist gerade 40 geworden, lebt aber das Leben eines Endzwanzigers. Foto: Steffen Jänicke Hm, gute Frage. Ich glaube, das hat weniger mit dem Beruf zu tun, sondern ist eher eine Haltungsfrage. Ich finde beim Thema Kinderkriegen gibt es drei Kategorien: Einmal die, die ganz früh zusammengekommen sind, die sind dann schon festgelegt und gründen sehr früh eine Familie. Dann die, die Ende 20 damit anfangen. Die arbeiten meist bei Fielmann oder sind Grundschullehrerinnen. Und dann die Powerfrauen, die kriegen erst Mitte bis Ende 30 Kinder. Generell nehmen manche einfach Gegebenes an und leben eher so das Leben ihrer Eltern. Andere gehen den eigenen Weg. Das kostet dann auch mehr Zeit. Das Thema finanzielle Sicherheit spielt natürlich auch eine Rolle. Ich selbst will erst Kinder, wenn die Situation wirtschaftlich passt – obwohl, das tut sie eigentlich, jetzt ich muss nur noch die passende Frau finden. Wenn du jetzt eine Freundin hättest, wäre das nicht schlecht für dein öffentliches Image als Großstadtsingle? Weil ich bei Take That bin, oder was? Nein, bei einem Autor ist das ja anders, da fallen die Fans ja nicht um. Obwohl meine Freunde gerade ein bisschen genervt sind. Man könne sich mit mir aktuell nirgendwo mehr in eine Bar setzen, ohne angestarrt zu werden. Ein Berliner Taxifahrer, der mich auch kannte, sagte neulich zu mir: „Geh bewusst mit deiner Macht um“, oder so ähnlich. Was ist denn deine schönste Anekdote aus dem ganz normalen Dating- Wahnsinn? Die steht im letzten Buch („Ist das Liebe oder kann das weg“?, Anm. d. Red.). Deshalb wurde ich die männliche Carrie Bradshaw genannt. Darüber regen sich die Sex-and-the-City-Fans heute noch auf, weil sie so ironiefremd sind. Meine Bücher sind nichts für Leute, die keine Ironie verstehen. Das steht auch drauf. Ach so – willst du trotzdem eine Anekdote hören? Ja, hau mal raus! Ich war mal mit einer Frau in einer Bar und die ging dann kurz auf Toilette. Und so zehn Minuten, nachdem sie zurück war, ging sie schon wieder. Also hab ich so was gesagt wie, „Musst du schon wieder, du warst doch gerade erst?“ „Nee“, hat sie gesagt, „eben war ich Speed ziehen, jetzt muss ich Pipi.“ Da fragst du dich schon, was das über dein Date aussagt, wenn sich dein Gegenüber erst mal ‘ne Runde Speed ziehen muss. Es war dann auch unser letztes Date. Im Oktober bist du mit der Band Bonaparte auf Tour gewesen. Gibt es bei deiner jetzigen Lesetour auch wieder was oben drauf? Nein, das war ein schönes Experiment, aber irgendwie auch zu viel für einen Abend. Man gerät da so unter Zeitdruck. Aber ich plauder sehr viel zwischen den Passagen – und auch gerne noch mit den Besuchern im Anschluss an die Lesung. „Generation Beziehungsunfähig“-Lesetour: 27.2. Hörsaal HZO10 der Ruhr-Uni Bochum 21.3. Kulturzentrum, Herne. coolibri verlost 5 x 2 Tickets mit Buch für den Termin in Bochum. Lisa Sänger 9

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