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coolibri CAMPUS No 10

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DIGITAL D ETOX Digital

DIGITAL D ETOX Digital Detox Ein Selbstversuch Foto (2): Lukas Vering Immer dabei, immer griffbereit,immer vernetzt: Smartphones sind längstunabdingbareAlltagsgegenstände – vondenen wir uns immer abhängigermachen.Die Bundesregierung warntvor Internetabhängigkeit,die Wissenschaftforscht in Richtung Sucht, dieMedien vergleichen mit harten Drogen. AlsGegenmittel kursiertdas Konzept des „Digital Detox“,quasiein Mix ausInternetfastenund Entschlackungskurvom Netz. Sind wirwirklich schon Junkies? Geht es noch ohne? LukasVering wagteden Selbstversuch.

DIGITAL DETOX Ichhabenachgezählt: An schlimmen Tagenzückeich 64 Maldas Smartphone undtippe,wische,like, swipe, scrolleund starre insblaue Licht. Manchmal habe ichdas Dinginder Hand undweißgar nichtmehr, wieesdahin gekommenist.Läuftalles voll automatisch. Um zu begreifen,dassdas Suchtverhalten istund nicht gesund sein kann,brauche ichkeine wissenschaftlichen Studienzitieren. Zeit für einen Selbstversuch. Von„DigitalDetox“hat man schon malgehört–man zwingt sich in asketischenVerzichtvon allem Digitalen. Weniger Smartphone,weniger SocialMedia,weniger Online. Ichwerde mich über 14 Tage langsamrantasten: Erstmal ausschleichen,viermal am Tag WhatsApp isterlaubt, arbeitstechnische Digitalitätist okay,nur SocialMedia istabTag 1tabu. Klingt einfach? Schön wär’s… Tag1,07:50 Uhr Durch meineMorgenroutine kommeich auch ohne Handy,aberder ersteStolpersteinwartet noch vorder Wohnungstür aufmich: Jetztwäre es an derZeit, perApp zu checken,obdie Bahn pünktlichkommt.Das tutsie ja eher selten und stattunwissend zumBahnhof zu hetzen, istes halt smart, diezehnMinuten Verspätung „wegeneiner StörungimTürbereich“mit sinnstiftenderenDingenzufüllen, als am Bahngleis rumzuschmocken.Okay, ichgebenicht beider ersten Hürde auf: wird schongut gehen. Fünfzehn Minutenspäterweißich:Ich hätte auch noch denPapiermüll wegbringen, denSmoothiemixer säubernund dasBad saugen können. Stattdessen steheich nunnutzlos undgelangweiltamBahngleis undwerde nervös beim Gedanken,nicht allezweiMinuten dieBahnverspätunginder Appchecken zu können. Toller Start. Tag1,11:30 Uhr Aufder Arbeitfällt es mir tatsächlich recht leicht:Handy einfachimRucksack verstaut und nichtwiederdrangedacht,hiergibtesjaauch genuganderes zu tun. Nurinder Pausevermisse iches, dasSmartphone zücken zu können, wenn manmal gerade keineLusthat sich zu unterhaltenund beschäftigtwirkenwill. Tatsächlich mache ichdas nichtselten, wiemir jetzt, wo ichdie Möglichkeitnicht habe, auffällt. Istdas a-sozial? Wintersemester2019/20 Tag1,17:18 Uhr Wieder aufdie Bahn warten, wieder Leerzeit ertragen.Man greiftimmer gernenachdem Handy,wennman gerade malnichtszutun hat. Ich ertappemichdabei,wie ichinstinktivindie Hosentaschegreifeund entscheidemichdazu,das Handy einfachmal nichthervorzuholen.Also schaue ich, wasessonst so aufdem Bahnsteig zu sehengibt. TrägeimSommerwindsichdahinwiegende Grashalme, hungrige Tauben mit suchendenBlicken,flatterndeSchattenund, achja, Menschendie aufSmartphones starren. Tag1,20:00Uhr GehörenNetflix undYoutubeauch zur digitalen Entschlackungskur? Darüberhabeich vorher nichtnachgedacht.Was machenMenschenohne Entertainmentprogrammabends aufder Couch?Ich habejetzt schon seit zehn Minuten versucht, einBuch zu lesen, aber so richtigdaraufkonzentrieren kann ichmichnicht.Daliegt es,auf demCouchtisch, dunkel undspiegelglatt, einkleines Lämpchen blinktstoisch wie einLeuchtturm,ummichdaran zu erinnern, dass ichungeleseneNachrichten habe. Verdammtes Smartphone.Meine vier Blicke auf WhatsApp habeich für heute schonverbraucht, aber einmal überziehen darf manjawohl. Nur eineinziger, kurzer Blick. Vielleichtist ja etwas passiert.Damithabeich mich selbst überredet. Das gingschnell. Tag2,16:00Uhr Läuft soweit.Heute fälltesmir leichter,das Handy einfachmal liegenzulassen, da es genugAblenkung undErledigungengibt. Tag2,18:15 Uhr Schock beim ersten Blick aufWhatsApp: Das totale Abschneiden über denTag führtzumehrerenerbostenNachrichten, warum ichmich nichtmelden würde.Zwischenzeitlich habeich wohl einigesverpasst: In Gruppenchats wurden Abstimmungenerbeten,Planungen fürsWochenende gemachtund Absprachengetroffen. Auch dieheutige Abendessenfragehabeich ungeklärtgelassenund darf jetztmit Brot undKäse improvisieren. Ichfühlemichausgeschlossen, uninformiertund schlecht. Puh. Tag3,13:19 Uhr Bishierhin binich schonschlechtdurch denTag gekommen.Das WhatsApp-Kontingentist bereitsaufgebraucht, weil es einHochzeitsgeschenk zu organisieren gibt. Dafür habeich Fotosbei dm ausgedrucktund weil es draußen40 Grad sind undich einfachnur mürbeund schlurfigbin,hab ichmir in derWartezeit ne richtigfette DosisInstagram undFacebookgegönnt.ZumeinerRechtfertigung: Da gabes auch schlichtwegnichtsanderes zu tunoder anzugucken.Dassich danach in derMittagspauseneInsta-Story vombetriebsgesponsortenEis gepostet habe, isthingegeneinfachnur beschämend. Tag4,10:36 Uhr Wochenende aufeiner Hochzeit im Heimatort. Das Brautpaarkommt glücklichstrahlendaus dergroßenFlügeltür desRathauses geschritten. Und schon geht dasSmartphone hoch. Nur ein, zwei,dreischnelleFotos schießen.Das passiertwie einReflex, völligunbewusst undvoll automatisch.Ein Blickindie Runde:Okay, einer derdreißiganderen Smartphonefotografen wird schonein adäquates Porträtschießen. Ichgönne mir nureinen schnellenSchuss. Ach, wie schön. Das jetztschnell mitGeotagauf Insta hochladen, damit… ja warum eigentlich?Das habeich mich noch niesoselbstkritischgefragt, wieindiesemMoment. Damitallewissen, wo ichbin undwas ichdortmache?Oderdamit siedaran teilhaben können? Oder neidisch sein können? Keine Zeit,die Antwort zu finden, hier gibt es echteMenschen, denenman zu einem großen Schritt gratulieren muss. Tag5,23:00 Uhr TotalerRückfall: Mürbegemacht vomRestalkoholder vergangenenFeier fehlte mir jede Artvon Disziplin undich habeden ganzen TagamDisplay gehangen.Fail. Tag6,12.30 Uhr Da liegtesund blinkt. Schreit nach meiner Aufmerksamkeit. Bloß wegmit dir, vermaledeites Höllenteil. Würde iches(Achtung, Motive klassischerLiteratur im Anflug) miteiner Axt --> 21

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