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August 2021 - coolibri

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INTERVIEW Alles ist

INTERVIEW Alles ist möglich Manuel Möglich Foto: Felix Krüger Anfang 2011 lief dieerste Folge„Wild Germany“ aufZDFneo.EineDokureihe,die sich mit denunterschiedlichsten sozialen Gruppen Deutschlands befasste.Gruppen, dievon denmeisten gar nicht wahrgenommen oder eher kritisch kommentiertwerden. Es ging um Schlagerfans, Fußballultras, Pornodarsteller:innen genauso wieumMenschen, diesichabsichtlichmit HIV infizieren wollen,um Pädophilie oder Satanismus. Manuel Möglich führte als Reporter durchs Land undsprach sehr ehrlich mit Leuten dieser Gruppen. 2013 warvorerstSchluss. Bis heutewerdensämtlicheStaffeln regelmäßig aufPortalen gestreamt. ZumZehnjährigen kehrtdas Formatmit Kultstatuszurück-allerdings als Podcastauf Spotify. Gerade erschien dieletzte Folgeder erstenRutsche, eventuellkommen weitere. Christopher Filipecki sprachmit Manuel Möglich über das neueKonzept, Toleranz in derheutigen Gesellschaftund mehr. In diesen schwierigenZeitenein Comebackvon „WildGermany“– Zufall,Manuel? Nee, Zufall istdas nicht, dasist schon geplant. Spotify undich hatten schonetwas längermiteinander Kontaktund haben häufigerdarüber nachgedacht, einFormat wiediesesjetzt zu machen. „WildGermany“ist nunzehnJahre altund mittlerweile war eine nostalgische Gefühlsebene beimir erreicht,sodassich dachte,dassman es dann auch so nennen könnte. Am Ende liegtesjaauch einwenig an meiner Person,dassich mich nichtkomplettdavon lösen kann,auch wenn ichseitlängerem schonandereProjektemache. Wiekam es denn dann dazu,dassesjetzt fortgesetztwird? Es gabimmer wieder Leute, diegefragt haben,obesirgendwieweitergeht. Irgendwann wardas fürmichaberdurch.Man kann,meinerMeinung nach,nicht etwasreproduzieren,was schon eine gewisse Zeit zurückliegt. Filmemache ichtrotzdemweiterfür verschiedene Plattformen,aberstattdessen kamnun dieIdee im journalistischenPodcast-Bereich auf. DieRecherchenfür dieThemenhatte ichsowieso,bzw.hätte siesonst vielleicht für andere Projekte verwendet. Umgekehrt könnte ichmanche Themen,die ichnun fürden Podcastmache,gar nichtdrehen, weil manan denOrten nichtdrehendarf–zumBeispiel in derJVA,inder ichfür eine Episodevor Kurzem war –oderdie Leutenicht voreineKameratreten würden. Somitwar es eine logischeKonsequenz,einen journalistischenPodcast zu machen,daesindiesemBereich garnicht viel im deutschsprachigen Raum gab, als wir voranderthalb Jahrendas ersteMal über dieIdee gesprochen haben.Zusätzlichkomme ich–wasviele nichtwissen–auch vomRadio, heißt, ichkenne dieseAufnahmeform, einfachmit einemGerät unterwegszusein. Es istalsoein bisschen zurück zu meinen Wurzeln, ohne großes Team alleinunterwegs zu sein,was auch vieleVorteilehat. 10

INTERVIEW Wieist dieIdeedamalsüberhauptentstanden? Ichbin in denUSA aufdas Vice-Magazin aufmerksam geworden,was es einpaarJahre später auch in Deutschlandgab.Ich war sehr vonderen Inhalten angetanund habeanfangs einpaarArtikel dafür geschrieben.Vice undZDFneostandeninKontakt undwollten waszusammenmachen. In demProzess derEntwicklung binich irgendwann dazu gekommen und als Team haben wir dieerste Staffel entwickelt. Erstwaren nurvierFolgen geplant, aber daslief dann so gut, dass wirauch fürden DeutschenFernsehpreis nominiertwurden. Im Laufeder Zeit sind wir auch besser geworden.AmAnfanghatte keiner vonuns Fernseherfahrungund es warmehrein Ding,bei demman geguckthat,wie es funktionierenwird. Heutewürde ich–weil ich‘seben nunbesserweiß–vieleSachenandersmachenals damals,abergenau dasmachtedie Reportagen auch authentisch, weil es sich zu demZeitpunkt richtiganfühlte. Eigentlich hättenwir nach denvierStaffelnnocheinemachenkönnen, aber ichfanddie engen Zeitbedingungenund auch dieErwartungshaltung,nocheineSchippe draufzulegen, nichtpassend.Deswegenhaben wiresandem Punkt,andem dieLeute es richtiggut fanden, sein gelassen. Ichfinde aber einenPodcast auch nichtbesserals eine Doku,nur anders.Ich möchtebeideMediennicht missen. Du hast nunden Vergleichzwischen Fernsehreportage und Podcast– worinsiehstduVor-und Nachteile? Zunächst einmal hatsichinzehnJahrender Medienkonsum verändert. Durch dasNetzgelangenLeute ganz anders an Themen. Heute lockt man viele nichtmehrsoleicht hinter demOfen hervor.Das macht es schwerer undgleichzeitigbesser. Ichfinde,dassich heute bessereGeschichtenerzählenkann,auch wenn sievielleichtweniger krasssind. DerAufwandbei einemPodcast istnatürlich viel,vielkleiner als beieiner Doku.Ich habeeinen Rekorder undzweiFunkstrecken,brauche keineDrehgenehmigungund kann einfachlos. Dadurch,dassich mitdem Equipment fast unsichtbar bin, entsteht auch eine andere Vertrautheit in denGesprächen. Siewerdenlängerund tiefer als voreiner Kamera. Dazu gibteskeine klassische Begrenzung. Zwar pendeln sich dieFolgenzwischen 40 und50Minuten ein, aber im TV warenesimmer 28 Minutenund 30 Sekunden miteiner Abweichung vonmaximal 15 Sekunden. Suchst du dirdie Themen selbst aus? Ja!Natürlich sprecheich mitdem Team ab,was diedavon halten,abereigentlich habeich Narrenfreiheit. Ichgucke, dass innerhalb einerStaffel die Themen unterschiedlichgenug sind,bin aber auch immer offen fürImpulse vonaußen.Inspiration kommt durch Filme, Lesen, Leben, Freunde,Kolleginnen.Trotzdembrauche ichBockund einenBezug zurThematik, eine vorgegebene Agenda würde da wahrscheinlichkeinsogutes Ergebnis erbringen. Mirist außerdem wichtig, dass es auch Themen sind,bei denenman möglichst etwasNeuesergänzenkann undwozunicht schon alles mehrfach erzähltwurde.Inder Folgezum Ausstieg ausder rechtenSzene geht es deswegenauch um Frauen,was häufigwenig beleuchtetwird. Schließtduetwas generell aus? Eigentlich nicht. Es gabdamals dieIdee,eineFolge über Sterbehilfe zu machen, beider ichamEndeandem Grab stehevon derPerson, dieich über dieDokubegleitet hätte. Ichwolltedamals niemandenbeimSterben begleiten, würde es heuteaberwahrscheinlich machen, weil dasThema superaktuell istund Veränderungen passieren. So richtige Grenzengibt es fürmichnicht.Die Frageist eben immer, wieman es erzählt. „So richtigeGrenzen gibt es fürmichnicht.Die Frageist eben immer, wieman es erzählt.“ DieThemensindoft extrem bzw. außergewöhnlich. Bist du selbst auch so oder isteseinfach Neugier? Ichwürde mich selbst nichtals extremePersonbeschreiben,auch nicht dieProtagonisten. Ichführe eigentlich einLeben wieviele,habeabereine Grundneugier.Selbstbei abseitigen Themen wieBIID (Anm.d.Red.: Body Integrity Identity Disorderbeschreibtden krankhaftenWunsch, eine körperlicheBehinderung zu erlangen)könnten in derGesellschaftDiskussionenaufkommen, sobald es nächstesJahrtheoretisch erlaubtseinkönnte,dassMenschensichein gesundes Bein in Deutschlandamputierenlassendürfen. Solche Diskussionensagen ganz viel über unserMiteinander undunser Land aus,und dasmacht es dann für mich reizvoll.Den Brückenschlagfinde ichschön –esklingterstmal so,als ob so etwasnur drei Leutebeschäftigt, sobald aber gewisse Voraussetzungen gegebensind, istesdann nichtmehrnischig,sondern betrifft unsirgendwiealle. Hat„WildGermany“dichoderdeinDenkennachhaltigverändert? Ichweißnicht,obesmichpersönlichverändert hat, aber es hatmeinen BlickinvielenPunktengeschärft.Besonders hatesmeine Akzeptanzund Toleranz aufein anderesLevel gebracht.Angewisse Dinge habeich mich gewöhntbzw.hauen siemichnicht mehr so leicht ausder Kurve. Die grundsätzlicheFrage ist: Wenn Menschen etwastun,was ichpersönlich nichtverstehen kann,warum sollte ichdas bewerten? Ichtreffeimmer wiederLeute,die sich für unfassbartolerantund offen halten,abereseigentlich nichtsind, weil eine gewisse Sichtweisedaist.Sobaldjemandabweicht,wirdebendochverurteilt, weil es inseigeneMusternicht passt. „WildGermany“hat mich ganz gut darin geschult, dass wenn zwei Erwachsene Dinge tun, dieich nicht verstehe,sie dasdocheinfachmachensollen, solange dasimfreiwilligenDaseinpassiertund es mich nichteinschränkt.AberMitleid habeich beispielsweise mitmeinenGesprächspartnern nie. Das wäre wahrscheinlichauch schwierig, weil eine Verschiebung zwischen mir als Journalist undden Protagonistenpassieren würde, aber ichhabezumindest für dieSituationderjenigenbis zu einemgewissenGradEmpathieübrig undkann michdahineinversetzen. Denkst du,dassDeutschemittlerweileeinen besseren Zugang und mehr Verständnis fürThemenhaben,die sieselbstnicht betreffen? Wenn es hart aufhartkommt,glaubeich,hat sich da garnichtsverändert in denletzten zehn Jahren.Esist zwar en vogue, eine Regenbogenfahne in sein Profil zu packen undzusagen „Alles easy“, aber Stichwort„Pädophilie“:Dahat sich garnichtsgetan.Esist immernochdas gleicheUnverständnis, dergleiche Hass unddie gleicheAbneigung, auch wenn in den Folgen immer wieder gesagt wird, dass kein Verständnisfür Menschen, dieKindermissbrauchen, geschafftwerdendarf, sondernlediglich für die Neigung, diesie sich selbst nichtausgesuchthaben,sondern dieeinfach so ist. Sobald es um so heikleThemengeht, binich leider nichtder Überzeugung, dass sich etwasverbesserthat.Das hatman auch beider sogenanntenFlüchtlingswelle stark gesehen. UndwennesumRechtefür Schwuleund Lesben geht,sindGroßstädtewie Berlin oder dasRuhrgebiet nichtgleichzeitigganzDeutschland.Gehtman aufs Land,ist es an vielen Ortenimmer noch schwierig. ZumSchluss:Wünschdir etwasvon dem„WildenDeutschland“! Wenn ichLandund Leutebeobachte, besondersinden sozialen Medien, würde ichmir wünschen,dassman mehr in eine Kommunikation kommt. Dassman überhauptbereit ist, mitder anderenSeite zu redenund hört, um wasesgeht. Dabeigehtesmir nichtdarum, dass jederalles sagen darf –natürlich nur, solangederen Denken aufdem Boden derDemokratie beruht –, aber ichfinde,dasseskeine Streitkultur mehr gibt. Sobald man sich nichtgrün ist, ignoriertman die andere Person. Mirfehlt Reibung. 11

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